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    Tatort: Franziska
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Tatort: Franziska
    Von Lars-Christian Daniels

    Was wären die Kölner „Tatort“-Kommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) nur ohne ihre treue Assistentin Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt)? Im Dezember 2000 trat die treue Bürokraft, die ihre Vorgesetzten bei ihren über vierzig „Tatort“-Auftritten nur selten vor die Türen des Polizeipräsidiums begleiten durfte, die Nachfolge von Lissy Pütz (Anna Loos, „Weissensee“) an und war aus der Domstadt seitdem kaum mehr wegzudenken. Folge um Folge hielt sie ihren Vorgesetzten den Rücken frei – doch wirklich weiterentwickelt hat sich Franziska als Figur dabei nie: Neben einem folgenschweren One-Night-Stand im Kölner Karneval dichteten die Drehbuchautoren der fleißigen Assistentin vor allem müde Männergeschichten an, die aufgrund ihrer unzähligen Überstunden am Schreibtisch stets zum Scheitern verurteilt waren. Nach dreizehn Jahren hat Tessa Mittelstaedt nun genug von dieser eindimensionalen Rolle: In Dror Zahavis spannendem „Tatort: Franziska“, der aus Jugendschutzgründen erst um 22 Uhr ausgestrahlt werden darf, feiert die Schauspielerin ihren spektakulären Abschied aus der Domstadt und steht dabei neunzig Minuten lang im Brennpunkt des Geschehens.

    Franziska Lüttgenjohann (Tessa Mittelstaedt), die neben ihrem Job bei der Kripo auch ehrenamtlich als Bewährungshelferin tätig ist, besucht den ihr zugeordneten Häftling Daniel Kehl (Hinnerk Schönemann) in der Kölner Justizvollzugsanstalt. Während ihres Besuchs überschlagen sich die Ereignisse: Als sie gerade mit Kehl dessen Pläne für die Zeit nach der bevorstehenden Haftentlassung erörtert, ertönt plötzlich die Alarmsirene. Kehls Zellennachbar Sergej Rowitsch (Dimitri Bilov), der einige Tage zuvor Kontakt zum Kölner Staatsanwalt Wolfgang von Prinz (Christian Tasche, verstorben im November 2013) aufgenommen hatte, liegt ermordet in seiner Zelle. Erste Indizien deuten auf Kehl, der die Gelegenheit und ein Motiv für die Tat mitbringt und von Mithäftling Niklas Berg (Axel Schreiber) neben der Leiche gesehen wurde. Kehl dreht durch: Er nimmt Franziska als Geisel, bedroht sie mit einem Messer und verbarrikadiert sich mit ihr im Gesprächsraum, dessen Fenster mit Jalousien für Blicke von außen abgeschottet ist. Während ein Sondereinsatzkommando den Raum umstellt und Scharfschützen postiert, suchen die herbei zitierten Kölner Hauptkommissare Max Ballauf (Klaus J. Behrendt) und Freddy Schenk (Dietmar Bär) im Beisein des Gefängnisaufsehers Olaf Dröger (Holger Handtke) nach Spuren…

    In Sachen Ausstrahlungstermin hat „Franziska“ eine wahre Odyssee hinter sich: Ursprünglich für die Prime Time im Juni 2013 geplant, nahm die ARD ihren „Tatort“ zunächst wieder aus dem Programm, denn aufgrund der ungewohnt drastischen Gewaltdarstellungen wurde der Film von den hauseigenen Sittenwächtern erst ab 16 Jahren freigegeben. Man verschob die Ausstrahlung auf den 15. Dezember 2013 um 22 Uhr, doch auch dieser Termin musste aufgrund einer kurzfristig angesetzten „Günther Jauch“-Sondersendung zum SPD-Mitgliederentscheid über die Große Koalition wieder gestrichen werden. Mit gut halbjähriger Verspätung schafft es „Franziska“ nun im Anfang Januar 2014 endlich auf die deutschen Mattscheiben – und wer nach dem direkt davor gesendeten, enttäuschenden Frankfurter „Tatort: Der Eskimo“ noch in Stimmung für einen zweiten Sonntagabendkrimi ist, wird nicht enttäuscht: „Franziska“ ist nicht nur eine der härtesten „Tatort“-Folgen der Geschichte, sondern zugleich der beste Kölner Fadenkreuzkrimi seit Jahren. Das liegt auch daran, dass Drehbuchautor Jürgen Werner und Regisseur Dror Zahavi, die auch den nächsten Dortmunder „Tatort: Auf ewig Dein“ zusammen realisieren, auf die oft viel zu plumpe Gesellschaftskritik im „Tatort“ aus der Domstadt verzichten und stattdessen im Mikrokosmos JVA einen schnörkellosen und spannenden Gefängnisthriller konzipieren.

    Die Filmemacher kombinieren die typische Whodunit-Konstruktion um den rätselhaften Mord an Rowitsch dabei gekonnt mit Kehls Geiselnahme im Besucherraum und machen die Ermittlungen der Kölner Kommissare zum packenden Wettlauf gegen die Zeit: Während Ballauf und Schenk unter erschwerten Bedingungen (die Spurensicherung darf im Gefängnis nicht anrücken) nach Beweisen suchen und Kehls Mithäftlinge in die Mangel nehmen, zieht sich die Schlinge, mit der der verurteilte Vergewaltiger und Mörder seine Geisel wie eine Hündin an der Leine hält, immer fester zu. Dass Kehl dafür einen Kabelbinder mit Metallkern verwendet, sorgt für zusätzliche Spannung: Weil diese Schlinge sich scharf und tief in Franziskas Kehlkopf schneidet und nur mit entsprechendem Werkzeug zu knacken ist, tendieren ihre Überlebenschancen selbst bei einem sofortigem Notarzt-Einsatz gen Null, sollte der Geiselnehmer mit voller und vielleicht letzter Kraft zuziehen. So ist der SEK-Einsatz, bei dessen Koordination Ballauf und Schenk erwartungsgemäß mit dem sturen Teamleiter Dieter Brähmer (Olaf Burmeister) aneinandergeraten, gleich doppelt riskant. Und natürlich macht auch der seit Monaten feststehende und in den Medien breit getretene „Tatort“-Abschied von Tessa Mittelstaedt die Antwort auf die Frage „Stirbt sie oder stirbt sie nicht?“ ungemein schwer.

    Sowohl das kammerspielartig in Szene gesetzte Psychoduell zwischen Kehl und seiner Geisel, bei dem die auch aus der ARD-Vorabendserie „Heiter bis tödlich: Morden im Norden“ bekannte Mittelstaedt endlich einmal ihr schauspielerisches Potenzial abrufen darf, als auch die Ermittlungsarbeit ihrer Vorgesetzten, die telefonisch von Gerichtsmediziner Dr. Roth (Joe Bausch) unterstützt werden, fällt überzeugend aus. Bei der finalen Zusammenführung der beiden Handlungsstränge offenbart der 895. „Tatort“ aber Schwächen: Ausgerechnet in dem Moment, in dem Ballauf und Schenk das entscheidende Puzzleteil gefunden haben, nimmt auch die Geiselnahme plötzlich eine dramatische Wende, die in dieser Form sehr konstruiert wirkt und eigentlich schon deutlich früher hätte stattfinden müssen. Zudem trägt der israelische TV-Regisseur Dror Zahavi („Die Luftbrücke – Nur der Himmel war frei“) beim großen Finale etwas zu dick auf: Beinahe der komplette Showdown, bei dem das Publikum in hochdramatischen Bildern minutenlang um Franziskas Leben zittern muss, findet in Zeitlupe statt – und wird in der letzten Filmszene doch noch durch schmalzige Worte auf dem Polizeipräsidium abgemildert. Dennoch: Der Kölner „Tatort: Franziska“ ist bis zum Schluss fesselnd und das lange Wachbleiben am Sonntagabend wert.

    Fazit: Dror Zahavi inszeniert mit „Franziska“ einen spannenden, für „Tatort“-Verhältnisse ungewohnt harten Gefängnisthriller, der Tessa Mittelstaedt einen würdigen und dramatischen Abschied aus der Krimireihe beschert – und in dem die für Köln obligatorische Currywurst am Rheinufer ausfallen muss.

    Übrigens: „Franziska“ ist nicht der erste „Tatort“, der nicht zur Prime Time ausgestrahlt wird: Der Berliner „Tatort: Ein Hauch von Hollywood“ (der als schwächste Folge aller Zeiten gilt) wurde 1998 erst montags um 23 Uhr gezeigt, weil er nach Auffassung der ARD-Verantwortlichen nicht den eigenen Qualitätsstandards entsprach. Der mittlerweile im berühmt-berüchtigten „Giftschrank“ gelandete „Tatort: Der gelbe Unterrock“ hingegen wurde 1980 erst um 21.05 Uhr ausgestrahlt, weil wie bei „Franziska“ der Jugendschutz interveniert hatte.

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