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    Tatort: Mord auf Langeoog
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Tatort: Mord auf Langeoog
    Von Lars-Christian Daniels

    Im Mai 1982 wagte der NDR ein bis heute einmaliges „Tatort“-Experiment: In der vom Publikum auf breiter Front abgelehnten Nordsee-Folge „Wat Recht is, mutt Recht blieben“ wurde fast überhaupt nicht gesprochen – und wenn die Bremerhavener Einheimischen im Film überhaupt mal den Mund aufmachten, schnackten sie munter auf Platt. Der ermittelnde Kommissar Nikolaus Schnoor (Uwe Dallmeier) betrat erst im letzten Filmdrittel die Bildfläche und für die Zuschauer südlich der norddeutschen Küstenstreifen mussten die spärlichen Dialoge sogar untertitelt werden. Ein solches Schicksal bleibt dem Fernsehpublikum im „Tatort: Mord auf Langeoog“ erspart: Hauptkommissar und Nordsee-Urlauber Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der mit Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) ab 2014 bundesweit ermitteln wird, ist von Beginn an mit von der Partie und gesprochen wird ausschließlich hochdeutsch (wenn auch gelegentlich mit ostfriesischem Zungenschlag). Leider ist Falkes zweiter Einsatz für die öffentlich-rechtliche Krimireihe eine ganze Ecke schwächer als sein bärenstarkes Debüt im „Tatort: Feuerteufel“: Regisseur Stefan Kornatz („Verhältnisse“) gelingt es nicht, seinen windig-unterkühlten Küstenkrimi auf Betriebstemperatur zu bringen.

    Ein brutaler Mord erschüttert die Idylle der kleinen Nordsee-Insel Langeoog: Der Hund einer Joggerin (Vanida Karun) findet in den frühen Morgenstunden in den Dünen die Leiche der Künstlerin Bella Goosen (Julia Jessen). Neben ihr verharrt der wie paralysiert wirkende und blutverschmierte Teenager Florian (Leonard Carow). Florian ist der jüngere Bruder von Mimi Meinders (Laura Tonke), die zusammen mit Falkes bestem Kumpel und Ex-Kollegen Jan Katz (Sebastian Schipper) nach der Geburt des ersten Kindes zurück in ihre ostfriesische Heimat gezogen ist. Hauptkommissar Torsten Falke (Wotan Wilke Möhring), der eigentlich nur ein paar Tage Nordsee-Urlaub bei seinen Freunden verbringen wollte, schaltet sich in die Ermittlungen ein und gerät dabei mit Christine Brandner (Nina Kunzendorf), der Kollegin der zuständigen Auricher Mordkommission, aneinander. Für Brandner ist der Fall klar: Die Aussage des verwirrten Jungen, der kurz vor dem Tod mit dem Opfer geschlafen hat und sich angeblich an nichts erinnern kann, ist nur eine Schutzbehauptung. Doch Falke ermittelt mit Unterstützung seiner Hamburger Kollegin Katharina Lorenz (Petra Schmidt-Schaller) in eine andere Richtung...

    Das Beste am 887. „Tatort“ sind zweifellos die fantastischen Landschaftsaufnahmen von Bernhard Keller („Die Wand“): Mit ausgedehnten Helikopter-Flügen und traumhaften Totalen entführt der leinwanderprobte Kameramann das Sonntagabendpublikum direkt an die Nordseeküste, streift durch malerische Dünen, das faszinierende Weltnaturerbe Wattenmeer und die scheinbar endlosen Sandstrände Langeoogs. Auch Kommissar Falke und sein Kumpel Katz, der in vielen Szenen sein Neugeborenes schultert, lassen sich am Strand die steife Brise ins Gesicht wehen, schnacken in der gemütlichen Dorfkneipe mit trinkfesten Wattführern und stürmen nach getaner Arbeit splitterfasernackt in die kalten Nordseefluten: Mehr Lokalkolorit geht kaum. „Mord auf Langeoog“ ist ein wahrer Augenschmaus mit Fernweh-Garantie – doch der Inhalt kann leider nicht mit der netten Verpackung mithalten. Regisseur Stefan Kornatz, der gemeinsam mit Max Eipp („Wut“) auch das Drehbuch schrieb, inszeniert einen hübsch anzusehenden, aber nie wirklich fesselnden Krimi, weil er sich zu stark auf Land und Leute und den einzigen echten Verdächtigen konzentriert.

    Wenn der vermeintliche Täter im „Tatort“ nämlich neben der Leiche aufgefunden wird (man denke zurück an den letzten Münsteraner „Tatort: Die chinesische Prinzessin“), ist eines so sicher wie das Amen in der Kirche: Er ist es nicht gewesen, denn das wäre schließlich viel zu einfach. Dennoch preisen Kornatz und Eipp den hauptverdächtigen Florian geradezu als Mörder an: Der psychisch labile Junge kann sich zunächst an nichts erinnern. Als er endlich zu reden beginnt, verstrickt er sich angesichts der schwer belastenden Indizien und seines starken Tatmotivs immer stärker in Widersprüche. „Mord auf Langeoog“ entwickelt sich im Mittelteil zu einem echten Psychogramm, das Jungdarsteller Leonard Carow („Gefährten“) die Gelegenheit für zahlreiche Kostproben seines großen schauspielerischen Potenzials gibt, doch das birgt einen großen Nachteil: Alle anderen Nebenfiguren bleiben fast völlig im Dunkeln, so dass die überraschende Auflösung und das Tatmotiv in den Schlussminuten im Schnellverfahren nachgereicht werden müssen.

    Auch in Sachen Dialogwitz bleibt der zweite Einsatz von Wotan Wilke Möhring („Das Leben ist nichts für Feiglinge“) und Petra Schmidt-Schaller („Sommer in Orange“) deutlich hinter ihrem ersten Auftritt im „Tatort“ zurück: Die Männergespräche zwischen Falke und Katz fallen diesmal weit weniger spaßig und die einleitenden Revierstreitigkeiten mit Brandner, bei denen Zuständigkeiten geklärt und klärende Telefonate geführt werden müssen, sogar ermüdend aus. Nina Kunzendorf („Meine Schwestern“), die im April 2013 im „Tatort: Wer das Schweigen bricht“ ihren Abschied als Frankfurter Kommissarin Conny Mey feierte, tritt als Auricher Kollegin mit Nerd-Brille deutlich weniger forsch auf als in ihrer Ex-Rolle, so dass die Verwechslungsgefahr für den Gelegenheitszuschauer der Krimireihe gegen Null tendiert. Gleiches gilt leider für die Spannung: Selbst beim Showdown, bei dem einmal mehr eine „Tatort“-Kommissarin (sonst ist es oft Lena Odenthal) von ihrem männlichen Kollegen aus den Händen des Täters gerettet werden will, kommt der Krimi nicht mehr recht in Fahrt.

    Fazit: Malerische Dünen, frische Windböen und endlose Sandstrände – Stefan Kornatz‘ „Mord auf Langeoog“ punktet mit tollen Landschaftsaufnahmen und echtem Küstenfeeling, bleibt in Sachen Spannung und Witz aber weit hinter Wotan Wilke Möhrings starkem Debüt in „Feuerteufel“ zurück.

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