Eine norwegisch-deutsche Koproduktion mit einem aus dem Irak stammenden Regisseur kurdischer Abstammung. Tief in den komplexen Strukturen der Gegenwart, aber auch der europäischen Filmförderung steckt Hisham Zaman, der seinen Debütfilm „Der junge Siyar“ zwischen der Türkei und Norwegen anlegt und dabei auch in Berlin Station macht. Dass wirkt weniger der dramaturgischen Notwendigkeit als dem Begehren des deutschen Co-Produzenten geschuldet und erzwingt so Drehbuchwendungen, die die Mischung aus Flüchtlingsdrama und Ehrenmordgeschichte ins Schwanken bringen. Dabei werden zu viele Aspekte angerissen und nicht immer zu Ende gedacht, so dass die vorhandenen Qualitäten von „Der junge Siyar“ darunter leiden.
Siyar (Taher Abdullah Taher) ist noch nicht erwachsen, doch nach dem Tod des Vaters der Mann in der Familie. Zusammen mit Mutter und Schwestern lebt er im kurdischen Teil des Iraks und verspricht seine Schwester Nermin (Baher Özen) dem Sohn des Stammesführers. Doch Nermin hat andere Pläne und flieht in die Türkei. Um die Ehre seiner Familie wieder herzustellen, muss Siyar seine Schwester töten. Er begibt sich daher auf eine schier endlose Reise, die ihn bald nach Istanbul führt. Dort verpasst er seine Schwester nur knapp, lernt aber das Straßenmädchen Evin (Suzan Ilir) kennen. Zusammen begeben sie sich in die Hände von Menschen-Schmugglern, überqueren die grüne Grenze nach Griechenland und kommen schließlich nach Berlin, wo Evins Vater lebt. Doch Nermin ist inzwischen in Oslo und Siyars Wille, sie zu töten, scheint ungebrochen.
Mit einem prägnanten Bild beginnt Hisham Zamans Debütfilm „Der junge Siyar“: Am ganzen Körper wird Siyar mit Zellophan eingewickelt, eine Schwimmbrille schützt die Augen, ein kleines Loch ermöglicht das Atmen. So verhüllt schafft es der 16jährige in einem Tanklaster über die Grenze in die Türkei zu gelangen, wo seine lange Reise weitergeht. Was er denn vorhabe, fragt ihn ein Bauer, dem er auf dem Weg begegnet: „Seine Schwester töten“, antwortet Siyar bevor mit dramatischer Musik der Prolog endet. Doch so vielversprechend und stark dieser Beginn ist, wenn es archaisch und bildgewaltig weitergeht, kann das famose Auftaktversprechen nicht eingehalten werden.
In Rückblenden wird nun kurz erklärt, was Siyar auf seinen Pfad geführt hat, wobei die patriarchalischen Strukturen der kurdischen Gesellschaft kaum hinterfragt werden. So wundert es dann auch nicht, dass Siyar in Istanbul seine Rache beinahe zu Ende bringen kann: Doch Nermin gelingt die Flucht, was mehr den Notwendigkeiten der Geschichte geschuldet ist, als überzeugend wirkt. Auch Evin, die sich als Junge verkleidet und als Schuhputzer durchschlägt, ist als Figur nicht durchweg überzeugend gezeichnet. Die Freundschaft des Duos soll wohl den langsamen Wandel Siyars andeuten, doch dass Siyar die Strukturen seiner Herkunft hinterfragt, wird mehr behauptet als nachvollziehbar geschildert.
Dies hängt auch mit der Wahl des Hauptdarstellers zusammen: Schauspiellaie Taher Abdullah Taher, der hier zum ersten Mal vor der Kamera steht, hat viel Charisma und strahlt eine unerbittliche Entschlossenheit aus, die zu Beginn perfekt auf seine Figur passt. Doch den komplexen charakterlichen Wandel, den das Drehbuch von ihm verlangt, kann er nicht mit Mimik und Gestik ausfüllen – allerdings auch weil ihm Autor und Regisseur Hisham Zaman dafür zu wenig Gelegenheit gibt. Der packt zu viel in sein Langfilmdebüt, so dass den Figuren auch genau jene Momente fehlen, in denen sie inne halten.
Immer wieder werden neue Themen angerissen, immer wieder wird die Geschichte durch Seitenstränge verwässert, immer wieder wird ein neuer Schauplatz besucht. So geht die eigentliche Dramatik der Flüchtlingsgeschichte zwischenzeitlich verloren. Dabei verfügt „Der junge Siyar“ über brillante Passagen. Besonders die fast dokumentarische Schilderung der schwierigen, gefährlichen, entbehrungsreichen Reise nach Europa lässt den Zuschauer das Schicksal des Protagonisten hautnah erleben. Dass diese Flüchtlingsgeschichte nicht aus sozialen oder wirtschaftlichen Gründen erfolgt, sondern Rache das einzige Motiv ist, ist darüber hinaus ein interessanter Dreh, der aber nach und nach in den Hintergrund gedrängt wird.
Fazit: „Der junge Siyar“ hält genauso viele starke Momente wie Schwächen bereit. Hisham Zamans mäandert schlussendlich zu sehr zwischen den einzelnen Themen, um mit seinem Debüt vollends zu überzeugen.