Mein Konto
    Tokyo Tribe
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Tokyo Tribe
    Von Gregor Torinus

    Seitdem er 2001 mit dem skandalträchtigen „Suicide Circle“ internationale Bekanntheit erlangt hat, gilt Sion Sono als einer der großen Exzentriker des japanischen Kinos. Diesen Ruf zementierte der Filmemacher im Anschluss sowohl mit dem albtraumhaften Psychothriller „Strange Circus“ als auch mit der sogenannten „Hass-Trilogie“ aus „Love Exposure“, „Cold Fish“ und „Guilty of Romance“. Insbesondere deren überaus virtuoser, fast vier Stunden langer Auftaktfilm zeigte Sonos Hang zum Exzess, der nun auch sein neues Werk „Tokyo Tribe“ bestimmt. Die Verfilmung des Mangas „Tokyo Tribe 2“ ist ein hysterisch glitzerndes und hyperaktives Rap-Musical, in dem der japanische Sprechgesang in einem kunterbunten Tokio der nahen Zukunft eine erstaunliche Verbindung mit virtuosen Martial-Arts-Szenen eingeht.

    Die 23 als Tokyo Tribes bekannten Clans haben die japanische Megastadt unter sich aufgeteilt: Sie tragen Namen wie Gira Gira Girls, Shibuya-Saru und Shinjuku-Hands. Bis auf die friedliebenden Musashino-Saru haben sich alle Clans der Gewalt verschreiben, der mächtigste Tribe sind die Bukuro Wu-Ronz, die vom wahnsinnigen Yakuza Buppa (Riki Takeuchi) angeführt werden. Als dessen Protegé Mera (Ryohei Suzuki) im Streit den allseits beliebten Tera (Ryûta Satô) tötet, vergessen die anderen Clans ihre sonstigen Streitigkeiten und verbünden sich unter der Führung des jungen Kai (Young Dais) zum Kampf gegen den tyrannischen Buppa. Der verfügt jedoch mit über ein großes Söldnerheer: Es kommt zu einem unbarmherzigen Gefecht, bei dem ganz Tokio in Mitleidenschaft gezogen wird. Inmitten dieses Chaos versucht die junge Sunmi (Nana Seino) ihre Unschuld zu verlieren, da ein Hohepriester ihr jungfräuliches Blut den Göttern opfern will...

    Mit einer fünfminütigen Plansequenz führt Sion Sono in einen Hip-Hop-Kosmos ein, der so grell, skurril und überdreht ist wie die Mega-City Tokio selbst: Eine hippe Oma an den Turntables, weibliche Gangsta-Rapper und ein blondierter Muskelmann, der mit dem Messer auf der entblößten Brust einer Polizistin über die Lage in der Stadt aufklärt, geben einen ersten Vorgeschmack auf den überbordenden und ungehemmten Wahnsinn der folgenden zwei Kinostunden. „Tokyo Tribe“ ist eine Rap-Oper im XXL-Format, fast alle „Dialoge“ werden als Sprechgesang vorgetragen. Dafür wurden bekannte japanische Hip-Hopper engagiert und zusätzliche Rap-Castings auf YouTube durchgeführt. Angeführt wird das ungewöhnliche Ensemble indes von dem auf Yakuza-Rollen spezialisierten Ex-Sumo-Ringer Riki Takeuchi („Dead or Alive“-Trilogie, „Battle Royale 2“). Dessen Figur Buppa ist eine unwahrscheinliche Mischung aus Nippon-Elvis, sadistischem Gangster und fettem Sumo-Buddha.

    Wie viele Opern ist „Tokyo Tribe“ ein Drama der großen unversöhnlichen Gegensätze. Buppa steht für das Alte, für die ebenso machtgierigen wie dekadenten Autoritäten. Sein natürlicher Widerpart ist der junge, ungestüme und aufrührerische Kai (Young Dais gibt ein energisch-charismatisches Kinodebüt). Auch der Kontrast zwischen der gewaltbereiten Mehrheit der 23 Clans und den soften Sonnyboys der Musashino-Saru ist so archetypisch und extrem, dass es dafür gar keiner stringenten Handlung bedarf. Und so ist „Tokyo Tribe“ so überkandidelt, poppig-bunt und verspielt, wie man es nur aus Japan kennt. Jedes neue Szenario überbietet das vorherige an schierer Verrücktheit, es gibt eine unübersichtliche Vielzahl an Handlungssträngen, dabei macht Sion Sono schlicht und einfach, was er will, etwa wenn er ein Handytelefonat zum Anlass nimmt, mitten in einem Kampf vom Anrufer zum Angerufenen zu schneiden und kurzerhand den Schauplatz zu wechseln. Der Nachteil dieser wild-assoziativen Erzählweise ist, dass ein Handlungsfaden kaum erkennbar ist und wir so auch kaum die Chance haben, den Figuren nahezukommen. Dramatisches Gewicht hat das tolle Treiben nicht.

    Fazit: „Tokyo Tribe“ ist ein überbordendes und hyperaktives Hip-Hop-Spektakel, wie es nur das japanische Enfant terrible Sion Sono erschaffen konnte. Das Chaos ist hier Erzählprinzip, Spannung und Einfühlung bleiben dabei jedoch auf der Strecke.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top