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    Meine liebe Frau Schildt - eine Ode an die Grundschule
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Meine liebe Frau Schildt - eine Ode an die Grundschule
    Von Petra Wille

    Über Erziehung lässt sich trefflich streiten. Streng, autoritär, liberal oder anti-autoritär, jede Auffassung hat Gegner und Befürworter. Der erste Pädagogik-Professor wurde in Deutschland 1779 berufen, das Standardwerk „Émile oder über die Erziehung“ von Jean-Jacques Rousseau erschien 1762. Auf Rousseaus Theorien berufen sich viele Pädagogen, unter anderem Johann Heinrich Pestalozzi und Maria Montessori. Rousseau betrachtete Kindheit als einen eigenständigen, vollwertigen Lebensabschnitt, der genutzt werden sollte, um Kinder vor negativen Einflüssen zu schützen und ihre sozialen Instinkte zu bilden. Regisseurin Nathalie David ergänzt in ihrem Dokumentarfilm „Meine liebe Frau Schildt - eine Ode an die Grundschule“ das Porträt einer Lehrerin und ihrer 4. Klasse mit Zitaten aus Rousseaus „Émile“. Bei aller Sympathie für die Protagonisten ist das Ergebnis ein unentschlossenes Sammelsurium.

    Frau Schildt hat 40 Jahre im Schuldienst hinter sich, nun fährt sie mit ihrer letzten 4. Klasse auf Klassenreise, bevor die Kinder auf die weiterführende Schule wechseln und sie selbst in den Ruhestand geht. Sie fasst ihre Gedanken zu Erziehung und schulischer Bildung zusammen, während die Kinder vor der Kamera beschreiben, was ihnen an der Schule, an ihrer Lehrerin und der Klasse gut gefällt und was sie sich für die Zukunft wünschen. Frau Schildt setzte stets auf Eigenverantwortung, das wichtigste war ihr aber eine liebevolle Atmosphäre in der Klasse. Die Kinder danken es ihr mit viel Zuneigung. Die Szenen der Kinder auf einem Bauernhof und die Interviewsequenzen wechseln sich ab mit schwarz-weißen Archivbildern von historischen Schulklassen und Lehrerkollegien wie auch mit Bildern eines Teddybären, der Textpassagen von Rousseaus „Émile“ vorträgt.

    Frau Schildt ist eine wirklich sympathische Lehrerin und offenbar mit viel Humor ausgestattet. Ganz zu Anfang des Films berichten einige ihrer Schüler, dass sie bei einem Ausflug vom Kanu gefallen sei - „alle haben gelacht“. Abwechselnd erzählen Kinder und Lehrerin von ihren Erfahrungen miteinander. Frau Schildt ist dabei sehr reflektiert, urteilt nie pauschal und stellt sich Fragen wie „Wie viel Ordnung kann eine Lehrerin dem Kind vermitteln?“ Ihr hätte man gern länger zugehört, ab und an jedoch auch härter nachgefragt: Wie ist das mit der Strenge? Wie kann gelungene Sexualkunde aussehen? Wie geht man um mit Widerwillen oder Aggression bei Kindern? Stattdessen begleitet die Regisseurin, die zugleich auch Kamerafrau ist, die Kinder beim Spielen und Experimentieren auf dem Bauernhof und am Wasser und lässt sich von ihren Wünschen und Gefühlen berichten. Das ist teilweise unterhaltsam, teilweise langatmig und vor allem nichts Neues. Was sie mal werden wollen, ist eine Frage - und natürlich kommen die Antworten „Arzt“, „irgendwas mit Singen“, „Autowerkstatt“ und drei Mal „Fußballer“.

    David, die auch Produzentin und Cutterin des Films ist, findet keine klare Linie, ein visuelles Konzept ist nicht zu erkennen. Die Rousseau-Zitate integriert sie auf recht plumpe Weise in den Film: Einem Teddybären wird eine Sprechblase hinzugefügt und ein Sprecher liest aus dem Off. Natürlich ist es interessant, ein über 200 Jahre altes, Weg weisendes Werk auf seine Tauglichkeit im Jahr 2013 abzuklopfen – jedoch sind die gewählten Passagen fast durchgängig sehr liberal. Roussaus teilweise sehr restriktive Ansichten kommen dagegen überhaupt nicht vor. Zur Strukturierung des Films hat sich David entschieden, Schlagwörter wie „Beamtentum“ oder „Zeugnis“ einzustreuen: Animierte Buchstaben wirbeln über die Leinwand und formen die entsprechenden Begriffe. Meist kommen allerdings nicht mehr als ein oder zwei Sätze, dann wird ein anderes Thema angeschnitten – ohne passende „Überschrift“. Wie genau eine riesige Zeichnung zustande kommt, die sowohl den Zusammenhang von „Schreiben“ und „Verträge“ (Lernen fürs Leben also) erklärt, aber auch die Namen Humboldt und Erasmus von Rotterdam enthält und eine Art Parforceritt durch die (Erziehungs)Geschichte zu sein scheint, bleibt völlig im Dunkeln. Auch eine im Off nachgespielte Szene aus dem DDR-Schulalltag hat leider keinen Kontext.

    Fazit: Obwohl eine kluge Protagonistin für Spannung und Interesse sorgt, verzettelt sich Nathalie David bei ihrer Dokumentation „Meine liebe Frau Schildt - eine Ode an die Grundschule“ mit zu vielen anderen Ideen auf visueller und inhaltlicher Ebene.

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