Ob Finchen in der „Sesamstraße“ oder Gary in „SpongeBob Schwammkopf“: Schnecken sind im Fernsehen und im Kino meist nur Nebenrollen vorbehalten. 2013 könnte aber das große Kinojahr der glitschigen Tierchen werden: Vor dem Start von Dreamworks‘ Animationsabenteuer „Turbo“ um eine Rennschnecke, die von großen Rallye-Erfolgen träumt, im Oktober 2013, widmet auch der deutsche Autor und Filmemacher Sascha Seifert den Weichtieren, die in ihrem natürlichen Lebensraum vom Menschen selten wahrgenommen werden, einen Film für die große Leinwand. Seine komplett sprachfreie Dokumentation „Slow – Langsam ist das neue Schnell“ entführt den Zuschauer auf eine meditative Reise in die Natur und bietet ein visuelles Spektakel mit faszinierenden Großaufnahmen, ist auf Dauer aber auch ziemlich anstrengend.
Seifert zeigt überwiegend Weinbergschnecken und Nacktschnecken bei der Nahrungsaufnahme und der Erforschung ihrer Umgebung im Stuttgarter Stadtpark: Schnecken, die über Kies, Gras und Zweige kriechen und an Halmen hängen, Schnecken, die meterhoch auf Baumstämme klettern, Schnecken, die rote Beeren anknabbern und grüne Blätter vertilgen, und Schnecken, die meterlange Schleimspuren hinterlassen und dabei nur selten die Wege von Artgenossen kreuzen. Auf einen begleitenden Kommentar verzichtet der Filmemacher: Seifert lässt seine Bilder für sich sprechen und unterlegt diese im Wechselspiel mit zurückhaltenden Klavier- und Gitarrenklängen oder einer natürlichen Soundkulisse aus zwitschernden Vögeln und zirpenden Grillen. Sequenzen im Zeitraffer bleiben ebenso die Ausnahme wie kurze Aufnahmen von Ameisen, Kröten, Vögeln und weiteren Waldbewohnern, die lediglich der Einordnung in den natürlichen Lebensraum dienen.
Schon in den Anfangsminuten entwickeln Seiferts beeindruckende Detailstudien einen visuellen Sog, dem man sich kaum entziehen kann. Was in der Natur im Millimeterformat geschieht und selbst bei näherer Betrachtung vom menschlichen Auge kaum wahrgenommen wird, wirkt auf der Kinoleinwand schier überwältigend. Die überdimensionalen Fühler und schleimigen Körper erscheinen in dieser Größe fast extraterrestrisch. Seiferts Bilder verdeutlichen, wie faszinierend die winzigen Lebewesen, die die heimischen Wald- und Wiesenlandschaften zu Tausenden bevölkern, doch eigentlich sind. Das überaus gemächliche Tempo der nimmersatten Schnecken entfaltet dabei eine fast hypnotische Wirkung: Stark sind vor allem die Nahaufnahmen von Weichtieren, die seelenruhig Blätter zerkleinern und eine fast künstlerisch anmutende Einstellung, in der sich zwei Weinbergschnecken wie Liebende ineinander verschlungen haben.
Durch die Laufzeit von fast 90 Minuten ist „Slow – Langsam ist das neue Schnell“ aber auch ein für den Zuschauer ziemlich anstrengendes, mit Fortdauer bisweilen sogar ermüdendes Unterfangen. Spätestens nach einer Dreiviertelstunde verfestigt sich so der Eindruck, dass es Seifert zwar nicht an Bildmaterial, aber an neuen Inhalten mangelt. So überwältigend seine Schneckenbilder auch sind: Wenn zum dritten Mal in einer minutenlangen Einstellung eine Schnecke aus dem Bild kriecht, ohne dabei auch nur ansatzweise etwas Aufregendes zu erleben, droht aus der „frohen Entschleunigung“, die der Regisseur seinem Stuttgarter Premierenpublikum vor Filmstart wünschte, Langeweile zu werden. Auch die regelmäßig in Schriftform zwischen die Bilder geflochtenen Zitate des buddhistischen Schriftstellers Thich Nhat Hanh („Atme. Alles wird gut.“) wirken schnell abgegriffen.
Fazit: Sascha Seiferts experimentalfilmnaher Bilderschmaus „Slow – Langsam ist das neue Schnell“ ist definitiv eine Kinoerfahrung der ganz anderen Art – aber durch die Laufzeit auch keine einfache, die vor allem im Schlussdrittel zu einer inhaltlichen Endlosschleife wird.