Auf der Berlinale 2013 debütierte mit Bernd Sahlings „Kopfüber“ ein Kinderfilm, der den Alltag eines Jungen zeigt, der an ADHS leidet. Sahling knüpft damit an seinen 2004 veröffentlichten Debütfilm „Blindgänger“ an, der ebenfalls aus einer ungewöhnlichen, kindlichen Perspektive erzählt war: Dort stand ein blindes 13-jähriges Mädchen im Mittelpunkt. Dass der Regisseur zwischen diesen beiden Filmen Erfahrungen im Dokumentarbereich sammelte, kommt seinem zweiten Kinofilm nun zugute: In „Kopfüber“ rückt er seinen Figuren sehr nahe und schildert so die ADHS-Erkrankung des Protagonisten als alltäglichen Begleiter im Leben einer Familie.
Der 10-jährige Sascha (Marcel Hoffmann) kann dank seiner Aufmerksamkeitsdefizitstörung kaum die Füße still halten und neigt regelmäßig zu Wutausbrüchen. Seine alleinerziehende Mutter (Inka Friedrich) ist ein ums andere Mal überfordert, zumal ihr auch Saschas ältere Geschwister Kopfzerbrechen bereiten. Nur auf den Streifzügen mit seiner besten Freundin Elli (Frieda-Anna Lehmann) findet Sascha ein wenig Frieden, doch selbst in der Förderschule ist er ein Außenseiter und hat zudem eine Lese- und Schreibschwäche. Als Unterstützung für Saschas Mutter schickt das Jugendamt den Sozialarbeiter Frank (Claudius von Stolzmann), der in kleinen Schritten Saschas Vertrauen gewinnt. Doch bald bietet sich ein neues Problem: Die vom Therapeuten verschriebenen Medikamente mildern zwar Saschas ADHS, lassen das Pendel aber zu sehr ins Gegenteil ausschlagen und führen zur Apathie.
Man kann „Kopfüber“ gut als dramatischen Kinderfilm oder „Drama für Kinder“ bezeichnen. Wie in einem Charakter- oder Psychodrama für Erwachsene geht Bernd Sahling auf Tuchfühlung mit seinem Protagonisten. Die dokumentarisch wirkenden Bilder und die ruhige Erzählweise lassen „Kopfüber“ an vielen Stellen wie aus dem Leben gegriffen wirken. Die Schilderung der ADHS-Erkrankung wird dadurch über die fiktive Handlung hinaus als gesellschaftlich relevantes Problem erkennbar. Neben Saschas alltäglichen Problemen schildert „Kopfüber“ auch die Hilflosigkeit der Mutter im Umgang mit ihrem Sohn und deutet als mögliche zusätzliche Ursache für Sascha Probleme die fehlende Nestwärme an, die vor allem durch den Zeitmangel der Mutter entsteht.
So ein eindringliches, authentisches und vor allem von den jungen Darstellern stark gespieltes Kinderdrama „Kopfüber“ auch ist, in einigen Punkten macht es sich der auch für das Drehbuch verantwortliche Sahling etwas zu leicht. Besonders die Folgen des Medikamentenkonsums für Sascha werden allzu beiläufig behandelt: Die Beziehung zu seiner Freundin Elli leidet zwar unter Saschas durch die Medikamente verursachten Müdigkeit, eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit den teils drastischen Nebenwirkungen der Arznei findet aber nicht statt. Abgesehen von solch kleinen Schwächen ist Bernd Sahling mit „Kopfüber“ aber ein ambitionierter und eindringlicher Film gelungen, der sich mit einem Thema auseinandersetzt, dessen gesellschaftliche Relevanz in den vergangenen Jahren immer größer geworden ist.
Fazit: Mit „Kopfüber“ hat Bernd Sahling einen sehenswerten Kinderfilm zum Thema ADHS gedreht, der mit seinen dokumentarisch wirkenden Bilder zeigt, welche Alltagsbelastung diese Krankheit sein kann.