Auf mysteriöse Weise verschwand 2009 in Berlin der portugiesische Partytourist Afonso Tiago, dessen Leiche Wochen später schließlich aus der Spree gezogen wurde. Während man heute von einem selbstverschuldeten Unfall ausgeht, rankten sich seinerzeit die wildesten Fantasien um das Verschwinden des jungen Mannes. Die Nachwuchsfilmemacher Stefan Westerwelle und Patrick Schuckmann ließen sich von dieser wahren Begebenheit zu ihrem Film „Lose Your Head“ inspirieren, einem Film über die Reize und Gefahren des anonymen Großstadtdschungels und den schmalen Grat zwischen Rausch und Realität.
Der Spanier Luis (Fernando Tielve) ist als Partytourist in Berlin. Er sucht nach Spaß in Form von Clubmusik, Drogen und One-Night-Stands. Gleichzeitig ist die Griechin Elena (Sesede Terzyian) auf der Suche nach ihrem vermissten Bruder Dimitri (Jan Amazigh Sid), der Luis sehr ähnlich sieht. Luis verliebt sich in den geheimnisvollen Ukrainer Victor (Marko Mandic), der offensichtlich etwas mit dem Verschwinden Dimitris zu tun hat. Fortan wird immer unklarer, wer wirklich wer und was überhaupt noch real ist...
Der Titel des Films ist mehrdeutig zu verstehen: Nicht nur der Kontrollverlust, den Luis am Anfang durch den Konsum einer ominösen Droge erlebt, ist gemeint, sondern auch das Spiel mit den Erwartungen des Publikums. Aus einem Drama mit Kriminalfilmelementen wird so zunehmend ein hypnotischer Thriller, der jedoch an den hohen Ambitionen des Regie-Duos zu zerbrechen droht. Je mehr versucht wird, die Grenzen zwischen Realem und Illusion zu verwischen, desto schwerwiegender fallen inszenatorische Mängel ins Gewicht, die das Dargestellte ins Absurde abgleiten lassen.
Enttäuschend ist das vor allem, da der Film vielversprechend beginnt: Die geheimnisvolle Figur des Ukrainers Victor, in den sich Luis verliebt, wird von Marko Mandic („Im Angesicht des Verbrechens“, „Gold“) nicht nur großartig gespielt, sondern trägt mit seiner Undurchschaubarkeit entscheidend zur Faszination des Films bei. In den ersten Minuten erreicht „Lose Your Head“ einen bemerkenswerten Flow, der sich lediglich aus der ungleichen Liaison zweier Fremder im großen Berlin speist. Beeindruckend sind auch die für eine Low-Budget-Produktion sehr körperlich gefilmten Sex-Szenen. Mit zunehmenden Genre-Anleihen und Zitaten großer Vorbilder wie Gaspar Noé („Menschenfeind“) wirkt „Lose Your Head“ jedoch mit der Zeit mehr und mehr konstruiert.
Bei dem vorwiegend in englischer Sprache gedrehten Film wird die Internationalität der Figuren kaum zum Inhalt gemacht. Die Regisseure weigern sich sowohl, eine Studie über ausländische Touristen in der deutschen Hauptstadt zu liefern, als auch Homosexualität zum Kernthema zu machen. Westerwelle und Schuckmann konzentrieren sich stattdessen auf das Fremdsein und die Anonymität in der Partymetropole Berlin. Leider prallt jedwede Identifikation mit dem Protagonisten Luis jedoch am kühlen und nicht immer glaubwürdigen Spiel von Fernando Tielve („The Devil's Backbone“, „Goyas Geister“) ab. Diese Schwächen sind doppelt schade, da „Lose Your Head“ einiges mitbringt, was zu wenige deutsche Filme bieten: Eine kreative, originelle Geschichte, ein unverbrauchtes Milieu, das einfach nur gezeigt und nicht moralisch bewertet wird, und ein erfrischender Erzählstil.
Fazit: Trotz der vorhandenen Schwächen lohnt es sich einen Blick auf Stefan Westerwelles und Patrick Schuckmanns flirrendes Großstadtdrama „Lose Your Head“ zu werfen.