Thomas Müller heißt nicht nur ein Spieler des Fußballclubs FC Bayern München sondern auch der Durchschnittsdeutsche. In unserem gesamten Land tragen ihn über 50.000 Menschen. Laut dem Bundesamt für Statistik ist dies damit der am häufigsten vorkommende Männername. Doch ist Thomas Müller gleich Thomas Müller? Um diese Frage zu beantworten, fährt Christian Heynen in seinem kurzweilig-unterhaltsamen Dokumentarfilm „Wer ist Thomas Müller?“ quer durch die Republik und trifft eine Vielzahl ganz unterschiedlicher Träger dieses Durchschnittsnamens.
Thomas Müller ist 1,78 m groß, wiegt genau 83,4 kg, ist 43 Jahre alt und katholisch. Er hat 21 Hemden im Schrank, dreimal in der Woche Sex und weint einen halben Liter Tränen pro Jahr. Obwohl dieser Herr real gar nicht existiert und so durchschnittlich und unauffällig ist, besitzt er eine schier unglaubliche Macht, denn weder die Politik noch die Wirtschaft kommt an ihm vorbei. Jeder deutsche Autositz ist an die Form seines Hinterns angepasst und auch ansonsten sollte man seine Bedürfnisse und Wünsche im Auge behalten, denn er repräsentiert einen Großteil der deutschen Bevölkerung. Seine Frau heißt übrigens Sabine und sein 16 Jahre alter Sohn Jan. Der Junge ist für die Werbung so interessant, dass die Hamburger Agentur Jung von Matt ihm gleich ein komplettes Zimmer inklusive Morgenstern und leerer Kondompackung eingerichtet hat. Soweit die amüsanten und skurrilen Daten über den Durchschnittsdeutschen, wie ihn die Statistik sieht. Die realen Menschen, die auf den Namen Thomas Müller hören, sind dagegen sehr unterschiedlich: Da gibt es den Broker im Alpenvorland und das Punk-Urgestein in Berlin. Ein Thomas Müller riskiert sein Leben als Soldat in Afghanistan, während ein anderer ein entschleunigtes Dasein als katholischer Geistlicher führt. Es gibt einen Thomas Müller, der Harz-IV bezieht, und natürlich den berühmten Fußballer mit den besten Werbeverträgen der gesamten Nationalmannschaft.
Die Dokumentation „Wer ist Thomas Müller?“ ist höchst kurzweilig und vor allem für die interessant, die sich schon immer gefragt haben, was eigentlich das „Deutschsein“ ausmacht. Trotz zahlreicher unterhaltsamer Einzelmomente fügt sich das Ganze aber nicht wirklich zu einem größeren Gesamtbild. Dabei handelt es sich laut dem durchschnittlich großspurig daherkommenden Presseheft keineswegs um einen schnöden Dokumentarfilm alter Schule, sondern um einen „transmedialen Dokumentarfilm mit Roadmovie-Dramaturgie“. Der transmediale Aspekt zeigt sich dabei darin, dass es im Internet auch eine Homepage (müllerversum.de) und eine Facebook-Seite zum Film gibt, auf denen jeder seine persönliche Meinung zum Wesen des Deutschseins kundtun kann. So sind auch immer wieder kleine Videos in den Film integriert, in denen Passanten Auskunft darüber geben, was ihrer Ansicht nach typisch Deutsch sei. Was da konkret geäußert wird, sind in der Regel jedoch nur die üblichen Plattitüden, die einem als erstes einfallen, wenn man einmal ganz spontan etwas zu dem Thema sagen soll.
Der höchst interessant klingende Ausdruck „Roadmovie-Dramaturgie“ soll hingegen offensichtlich die unschöne Tatsache verklären, dass laut interner Statistik die häufigsten Szenen im Film nur zeigen, wie Christian Heynen auf dem Weg zum nächsten Thomas Müller mit dem Auto durch die Landschaft fährt. Zuhause pinnt er dann nach jedem Treffen ein weiteres Foto eines Thomas Müller an die Wand. Dabei gerät der Regisseur zunehmend ins Grübeln, da sich ihm trotz all des Aufwands kein größeres Gesamtbild erschließen mag – was jedoch nicht verwundert: Denn nur weil jemand den absoluten deutschen Durchschnittsnamen trägt, muss er natürlich ansonsten kein Durchschnittsdeutscher im Sinne der Statistik sein – auch wenn der 2013 im Kino gelaufene Spielfilm „König von Deutschland“ an diese Idee anknüpfte. Die auf denselben statistischen Daten beruhende Komödie hatte mit Komiker Olli Dittrich als Thomas Müller eine Figur im Mittelpunkt, die so punktgenau den Durchschnitt traf, dass sie von Politik und Wirtschaft missbraucht wurde.
Der Regisseur hat nach eigener Angabe aus den 50.000 in Frage kommenden Kandidaten seine Interviewpartner danach ausgewählt, dass diese verschiedene, für ihn wichtige Bereiche „wie Geld, Glaube, Essen, Musik, Humor, Sport usw.“ abdecken. Ob es irgendwo unter den 50.000 vielleicht doch einen gibt, der dem Thomas Müller im Sinne des Bundesamtes für Statistik tatsächlich nahe kommt, interessierte ihn folglich wohl eher nicht. Ihm geht es mehr um die Diskrepanz zwischen Statistik und Realität, wobei dann eine der besten und amüsantesten Szenen zeigt, dass diese manchmal gar nicht so groß sein muss: Nach dem Besuch des Zimmers von „Jan Müller“ in der Werbeagentur betritt der Regisseur anschließend das Zimmer eines realen Jan Müller. Dieses gleicht derart erstaunlich dem Modellzimmer, dass der Regisseur den (natürlich ebenfalls 16 Jahre alten) Bewohner fragt, ob er denn auch einen Morgenstern im Nachtschrank hätte. Das wird schmunzelnd verneint. Dafür zieht Jan Müller ein Kästchen unter seinem Bett hervor, in dem sich eine Axt befindet...
Fazit: Auf der Suche nach dem Durchschnittsdeutschen fördert Christian Heynen mit seiner Dokumentation „Wer ist Thomas Müller?“ zwar keine großen Erkenntnisgewinne ans Licht, durchaus unterhaltsam ist seine Deutschlandreise dennoch.