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    Die rote Lola
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Die rote Lola
    Von Ulrich Behrens

    „I’ve a beau, his name is Jim,

    He loves me and I love him,

    But he tells me I’m too prim,

    That means I’m too slow.

    I let him rant, I let him rave,

    I let him muss my permanent wave,

    But when he says ‚Let’s misbehave’,

    My reply is ‚No!’” (1)

    Wir sind, was wir spielen. Wir spielen, was wir sind. Einen flüchtenden Mann treibt es zu seiner Jugendfreundin, die glaubt ihn zu lieben, der aber eine andere liebt, deren Mann er getötet haben soll. Versteckspiele, Schauspielerei, Masken. Psychologische Schminke verpasste Hitchcock seinem Film, gedreht zwischen „Under Capricorn” (1949) und dem dann in den USA inszenierten Der Fremde im Zug (1951). Eigentlich ist so gut wie alles in diesem Film gelogen. Und man schmähte Hitchcock für eine anfängliche, ausgiebige Rückblende, die der Regisseur selbst später als dramaturgisch verfehlt ansah. Das hier zu diskutieren, würde zu viel über den Film verraten. Jedenfalls kann ich in diesem Flash back kein dramaturgisches Missgeschick sehen. Mich hat es nicht gestört.

    Ein junger Mann namens Jonathan Cooper (Richard Todd) ist in eine Diva verliebt, die Schauspielerin Charlotte Inwood (Marlene Dietrich), und von Anfang an lassen Hitchcock und die Dietrich keinen Zweifel daran, dass Charlotte durchtrieben, hinterhältig – und schön ist. Sie glaubt, sagt sie Jonathan, sie habe bei einem Streit unabsichtlich ihren Mann getötet – so erzählt es Jonathan in der Rückblende Eve (Jane Wyman), seiner Jugendfreundin. Männer sind für Charlotte nichts weiter als ein Spielzeug, und Marlenes Blick in die Kamera, zu uns, lässt daran ebensowenig Zweifel. Eines ihrer (weißen) Kleider ist mit Blut beschmiert, und alles, aber auch wirklich alles deutet auf sie als Mörderin hin, sagt Jonathan, der das Kleid in Besitz hat.

    Beschuldigt allerdings wird Jonathan. Denn als der ihr in Charlottes Wohnung ein anderes Kleid besorgen will, das Mordwerkzeug wieder an den Kamin stellt, einen Einbruch vortäuscht und wieder gehen will, überrascht ihn das Mädchen Charlottes, Nellie (Kay Walsh). Hat sie ihn erkannt? Oder hat sie nur von oben gesehen, dass ein Mann die Treppe hinunter läuft, um zu entkommen? Jonathan flieht, als die Polizei ihn sprechen will, zu Eve (Jane Wyman), der Jugendfreundin, einer freundlichen, sympathischen, aber unscheinbaren jungen Frau, die Schauspielerin werden will, aber noch ganz am Anfang steht. Sie bringt ihn hinaus ans Meer zu ihrem Vater, Commodore Gill (Alastair Sim), einem vernünftigen alten Herrn, der seine Tochter ermahnt, den Verstand zu benutzen, statt dem Gefühl zu folgen – und doch weiß, dass Eve dies nicht tun wird.

    Eve will Jonathan retten. Denn sie glaubt an seine Unschuld und die Schuld Charlottes. So schleicht sie sich heimlich in die Dienste der Diva – über Nellie, der sie Geld gibt und erzählt, sie sei Journalistin. Nellie soll einige Tage verschwinden, damit Eve sieht vertreten kann. Und sie versucht, Inspektor Wilfred Smith (Michael Wilding) auszuhorchen, um mehr über die Inwood und die Ermittlungen der Polizei herauszubekommen. Ein gefährliches Spiel, ein Versteckspiel, das nicht einfach zu organisieren ist. Nie darf Smith sie mit der Inwood zusammen sehen.

    „It’s not ‘cause I wouldn’t,

    It’s not ‘cause I shouldn’t,

    And, Lord knows, it’s not ‘cause I couldn’t,

    It’s simply because I’m the laziest gal in town.

    My poor heart is achin’

    To bring home the bacon,

    And if I’m alone and forsaken,

    It’s simply because I’m the laziest gal in town.

    Though I’m more than willing to learn

    How these gals get money to burn,

    Ev’ry proposition I turn down,

    Way down,

    It’s not ‘cause I wouldn’t

    It’s not ‘cause I shouldn’t,

    And, Lord knows, it’s not ‘cause I couldn’t,

    It’s simply because I’m the laziest gal in town.” (1)

    Versteckspiele. Lügen. Maskerade. Nichts anders ist „Stage Fright” (Lampenfieber) von Anfang an. Hitchcock, könnte man meinen, macht sich lustig, vor allem über den billigen Krimi, den abgeschmackten Whodunit. Denn im Grunde kommt keiner in diesem Film wirklich gut weg:

    – Eve nicht, halb unschuldiges Kind, halb – was ihre Aufmachung angeht – zu junges „spätes” Mädchen, Eve, die in ihrer Leichtgläubigkeit zum Hobby-Detektiv degeneriert, ohne wirklichen Erfolg, weil zum Schluss ein anderer den Fall löst, Eve die immer im Hintergrund steht, wenn Charlotte anwesend ist.

    – Ihr Vater nicht, der seine Tochter nicht davon abhält, dieses dumme Spielchen zu treiben, anstatt Jonathan dazu zu bewegen, sich der Polizei zu stellen, um die Aufklärung des Mordes zu beschleunigen. Doch immerhin ist es Commodore Gill, dem am Schluss eine gute Idee hat.

    – Charlotte nicht, die ihre Falschheit nur schwerlich hinter dem ganzen Glitzer und Glamour auf der Bühne verstecken kann.

    – Inspektor Smith nicht – ordinary: Smith –, den Hitchcock als sympathischen Mann und polizeilichen Trottel vorführen lässt – durch Eve –, und Polizisten mochte der Suspense-Meister eigentlich noch nie so richtig.

    – Und Mrs. Gill schon gar nicht, die von allem keine Ahnung hat, dummes Zeug redet und mal wieder – in Gestalt der glänzenden Schauspielerin Sybil Thorndike – als Typ von Mutter vorgeführt wird, der man im wirklichen Leben lieber aus dem Weg geht.

    Liebe funktioniert in diesem Spiel der Eitelkeiten, Lügen und des Verrats nur als Vehikel, das von der Aufklärung des Mordes ablenkt. Eve meint, Jonathan zu lieben – und verliebt sich dann (in einer wunderschönen Szene im Auto) in „Ordinary” Smith. Jonathan glaubt, Charlotte zu lieben – und sieht sich später bitter enttäuscht. Der Impresario der Diva, Freddie (Hector McGregor) glaubt, der Star wolle mit ihr ..., aber der Blick der Dietrich lässt keine Zweifel zu, dass Charlotte Männer eigentlich hasst.

    „Nothing ever worries me,

    Nothing ever hurries me.

    I take pleasure leisurely

    Even when I kiss.

    But when I kiss they want some more,

    And wanting more becomes a bore,

    It isn’t worth the fighting for,

    So I tell them this:

    „It’s not ‘cause I wouldn’t,

    It’s not ‘cause I shouldn’t,

    And, Lord knows, it’s not ‘cause I couldn’t,

    It’s simply because I’m the laziest gal in town.” (1)

    So simpel die Geschichte in „Stage Fright” im Grunde ist, so effektvoll setzt sie Hitchcock in der Maskerade der Personen in Szene. Und selbstverständlich fehlt auch die ihm eigene Komik nicht, etwa wenn Commodore Gill, der es eilig hat, an einer Schießbude eine Puppe gewinnen will, die skurrile Schießbuden-Besitzerin (Joyce Grenfell) ihn durch Geschwätzigkeit jedoch aufhält, und er nur durch einen Trick zu dem begehrten Objekt kommt. Oder wenn Eve ihrem Vater aus der Ferne durch Handzeichen andeuten will, dass neben ihm Nellie steht, der er das Geld geben soll, Gill jedoch nicht gleich kapiert, wer da neben ihm steht.

    Hitchcock engagierte neben Marlene Dietrich und Jane Wyman damals bekannte englische Bühnenschauspieler, die ihre Arbeit im Film mehr als zufriedenstellend verrichteten. Auch wenn „Stage Fright” nicht zu den allerbesten Filmen Hitchcocks zählen dürfte, überzeugt der Thriller doch bereits durch Momente, die in späteren Filmen Bedeutung erlangten. In der Figur des Jonathan Cooper beispielsweise ist bereits in Ansätzen sichtbar, was in Psycho (1960) in Gestalt des Norman Bates zur Vollendung geriet. Während die böse und irgendwo auch dumme Mutter in „Stage Fright” noch eher eine komische Einlage ist, wird sie ebenfalls in „Psycho” zur Wurzel allen Übels.

    (1) „The Laziest Gal in Town”, geschrieben von Cole Porter (1927)

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