Vom Alltäglichen erzählen und dabei doch nie das Außergewöhnliche aus den Augen verlieren. So ließe sich das Kino Robert Thalheims auf den Punkt bringen. Unter den deutschen Filmemachern der vergangenen fünfzehn Jahre ist der gebürtige Berliner, der auch ein Buch über Andrzej Wajda und den polnischen Film veröffentlicht hat, einer, der einen ganz eigenen Weg verfolgt. Seine Filme wirken leichthändiger und eingängiger als die Arbeiten, die so oft mit dem Label „Berliner Schule“ versehen werden. Dennoch sind sie sperriger und vor allem eigenwilliger als die typischen deutschen (Arthouse-)Komödien und -Dramen, die zwar ins Kino kommen, aber eigentlich nur mit dem Blick auf ihre Fernsehauswertung gedreht wurden. Anders als Dietrich Brüggemann („Renn, wenn du kannst“), das selbsternannte Aushängeschild eines deutschen Kinos jenseits der ominösen „Berliner Schule“, für den die Wirklichkeit allerdings auch nur eine Art von Seifenoper ist, versucht Thalheim den Widersprüchen des Lebens in seinen kleinen, präzisen Erzählungen gerecht zu werden. Diese Sehnsucht erfüllt auch die Tragikomödie „Eltern“. Nur rutscht er mit dieser Geschichte aus dem Berliner Bionade-Biedermeier letztlich doch das ein ums andere Mal ins Klischeehafte, Überkonstruierte und damit – um eine Filmfigur zu zitieren – ins „Lindenstraßenhafte“.
Seit Jahren ist Konrad (Charly Hübner) nun schon der Vorzeige-„Papa“ und -Ehemann. Alle Frauen, die ihn vom Spielplatz her kennen, beneiden Christine (Christiane Paul) um diesen Fang. Immer ist er für seine beiden Töchter da, spielt mit ihnen und macht auch sonst alles im Haushalt. So konnte sich die Anästhesistin Christine ganz auf ihre Karriere konzentrieren. Doch nun will Regisseur Konrad endlich wieder in seinen Beruf zurückkehren. Ein befreundeter Theaterintendant hat ihm eine Inszenierung angeboten, Hebbels „Nibelungen“. Damit alles weiterhin seinen gewohnten Gang nimmt, haben die beiden Isabel (Clara Lago), ein Au-Pair-Mädchen aus Argentinien, eingeflogen. Doch die hat in ihrer Bewerbung verschwiegen, dass sie schwanger ist. Und so steht das moderne Bilderbuch-Paar plötzlich vor einer Situation, die es nicht mehr bewältigen kann.
Natürlich erfordern Filme wie Romane und Theaterstücke, Erzählungen und Kurzgeschichten, Verdichtungen. Natürlich greift der Vorwurf „Das ist aber nicht realistisch!“ immer zu kurz. Doch in diesem Fall lässt er sich nicht gänzlich von der Hand weisen; und das muss sich Robert Thalheim am Ende selbst zuschreiben. Gerade einmal eine Woche umspannt das Geschehen, das die kleine Familie von Christine und Konrad nahezu auseinanderreißt. Die einzelnen Tage der Woche dienen Thalheim dabei als eine Art von Kapiteln, in denen er den schleichenden Zerfall und das immer weiter um sich greifende Chaos ausbreiten kann. So verleiht er seiner Erzählung eine Dichte und Dringlichkeit, die dramaturgisch vielleicht sogar Sinn ergibt. Doch es passiert einfach zu viel in dieser Woche.
Offensichtlich war das Familienleben der Ärztin und des Theaterregisseurs nie so idyllisch, wie es nach Außen wirkte. Die Konflikte, Christines Unbehagen im Umgang mit ihren beiden Töchtern wie auch Konrads Sehnsucht, mehr als nur Vater und Hausmann zu sein, schwelten schon lange. Es fehlte nur der Anlass, der sie offen hervortreten lässt. Daran kann kein Zweifel bestehen. Nur forciert Robert Thalheim diese Sicht auf das Paar und ihre Kinder ein wenig zu sehr. Zudem erzeugt die zeitliche Begrenzung den Eindruck, dass Probleme und Konflikte einfach aufgezählt und dann abgehakt werden. So bleibt nichts, womit sich die modernen Großstädter so in ihrem Alltag herumschlagen müssen, unerwähnt. Untreue und berufliche Frustrationen, elterliche Zweifel und finanzielle Nöte, alles stopft Thalheim in seine Geschichte hinein. Nur geht dem Film darüber die Tiefe verloren.
Ein Schauspieler (Tilo Nest, „Unter Strom“), der mit dem Konzept für die „Nibelungen“ nicht einverstanden ist, wirft Konrad vor, dass er diesen Stoff und Hebbels Sprache auf das Niveau der „Lindenstraße“ herunterzieht, und trifft damit letztlich den Kern des Films. Thalheim will einfach zu viel und nivelliert damit alles. Charly Hübner („Banklady“, „Krabat“) und Christiane Paul („Im Juli“, „Hindenburg“) spielen zwar mit aller Macht gegen die Schwächen des Drehbuchs an. Sie sind selbst in den abstrusesten Momenten des Films noch extrem glaubhaft. Doch am Ende reicht auch das nicht. In ihrem Spiel scheint genau das Alltägliche auf, das Thalheim hier ansonsten verfehlt.
Fazit: Wie schon bei „Am Ende kommen Touristen“ erweist sich Robert Thalheim einmal mehr als präziser Erzähler. Allerdings ist „Eltern“ viel klischeehafter und konstruierter.