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    Systemfehler - Wenn Inge tanzt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Systemfehler - Wenn Inge tanzt
    Von Andreas Staben

    2010 landete Regisseur Marc Rothemund mit seiner Boy-Band-RomCom „Groupies bleiben nicht zum Frühstück“ einen Überraschungserfolg. Die charmante Teenie-Komödie bestach mit flotter Musik, sympathischen Darstellern, einer Portion Berlin-Flair und jeder Menge guter Laune. Eine Mischung, wie sie auch die Macher von „Systemfehler – Wenn Inge tanzt“ unübersehbar im Sinn hatten: So ist etwa die Besetzung und das Training der fiktiven Band im Mittelpunkt des neuen Films ähnlich aufwendig verlaufen wie beim Hauptstadt-Hit mit Kostja Ullmann. Dessen Combo Berlin Mitte setzte damals zu regelrechten Höhenflügen in den Charts an und rein musikalisch betrachtet haben auch die Nachfolger von Systemfehler das Zeug dazu - vor allem der Titelsong „Wenn Inge tanzt“ besitzt jedenfalls echte Ohrwurm-Qualitäten. Aber so gelungen das klingende Herzstück des Films auch ist, so deutlich sind auch die erzählerischen Misstöne in der von Wolfgang Groos („Vampirschwestern“, „Die Vorstadtkrokodile 3“) inszenierten Kölner Punk-Rock-Variation des „Groupies“-Erfolgsrezepts: Einzig die beherzt aufspielende Paula Kalenberg als Inge und Alt-Rocker Peter Kraus in einer kurios-charmanten Nebenrolle als Ex-Schlagerstar stechen positiv aus dem allzu schematisch zusammengestellten Ensemble heraus und so verläuft die Handlung nicht nur vorhersehbar, sondern viele der unausweichlichen Wendungen sind auch alles andere als überzeugend gelungen und wirken geradezu lieblos.

    Die Jungs der Punk-Rock-Band Systemfehler sind die Stars der Schule, nachdem ihr Song „Wenn Inge tanzt“ es bis ins Lokalradio geschafft hat. Das ist vor allem Sänger Max (Tim Oliver Schultz) zu Kopf gestiegen, der sich selbst für obercool hält, aber für Streber und Ökos nur Verachtung übrig hat. Seine liebste Zielscheibe ist die sozial engagierte Inge (Paula Kalenberg), die er auch zur Titelfigur des größten Band-Erfolgs gemacht hat. Als Dan Biermann (Matthias Koeberlin), der Talentscout eines großen Platten-Labels, auf Systemfehler aufmerksam wird, träumen Max, Gitarrist Joscha (Constantin von Jascheroff), Keyboarder Fabio (Tino Mewes) und Drummer Lukas (Thando Walbaum) bereits von der großen Karriere, doch wenige Tage vor dem alles entscheidenden Auftritt als Vorgruppe von Madsen stürzt der benebelte Joscha von der Bühne und bricht sich beide Hände. Ersatz muss schnellstens her, doch die fieberhafte Suche bleibt zunächst ohne Erfolg – bis sein Onkel Herb (Peter Kraus) Max auf die einzig naheliegende Lösung bringt: Sie müssen Inge fragen! Die Nachbarin ist schließlich eine begabte klassische Gitarristin. Schließlich beißen Max und Co. in den sauren Apfel und bitten Inge um Hilfe. Sie sagt zu – unter einer Bedingung: Auf keinen Fall dürfen sie „Wenn Inge tanzt“ spielen, von dem sie sich verspottet fühlt. Doch natürlich will Biermann genau dieses Lied hören...

    „Systemfehler“ ist ein Film mit zwei Gesichtern: Eines zeigt sich in den Konzertszenen und immer wieder bei den Bandproben, das andere außerhalb der Bühne. Während die musikalischen Darbietungen meist voller Schwung und Dynamik sind, voller roher Überzeugungskraft und Emotion, wirkt das Geschehen drumherum oft unecht, steril und klischeehaft. Der letzte Konzertauftritt der Band sagt mehr über die Freundschaft der Jungs und ihr Verhältnis zu Inge als etliche bemühte Dialoge und alberne Wendungen zuvor: Der Weg von offener Ablehnung über skeptische Distanz und erste Neugier zu Sympathie schwingt bei dieser mitreißenden Geburtsstunde einer echten Band mit, aus dem spöttisch-albernen Titelsong wird auf einmal eine selbstbewusste Hymne auf Eigensinn und Andersartigkeit. Inge übernimmt das Kommando und das ist das einzig passende Ende, denn Paula Kalenberg („Die Wolke“, „Krabat“) dominiert den Film auch vorher schon längst. Sie nimmt die vermeintlichen Gegensätze zwischen Klassik und Rock nicht allzu ernst und die äußere Verwandlung von der verhuschten Öko-Tante zur sexy Rock-Göre wird durch ihr Understatement einerseits als Oberflächlichkeit erkennbar, andererseits ist zu ahnen, dass die Mitwirkung bei Systemfehler ihr Selbstwertgefühl stärkt. Kalenberg setzt innerhalb der 08/15-Dramaturgie von Wandel und Annäherung individuelle Akzente, so dass selbst Inges aufkommende Gefühle für Max zumindest ansatzweise nachvollziehbar werden.

    Die Romanze zwischen Max und Inge bleibt trotz Kalenbergs Engagement jedoch reine Konvention: Gegensätze ziehen sich eben an, da ist es ganz egal, wenn ein Beteiligter mehr als blass bleibt. So wie Max hier eingeführt wird (denkt immer nur an sich, steckt andere ohne nachzudenken in Schubladen und hat immer einen fiesen Spruch auf den Lippen) ist er mehr bockige Nervensäge als sympathischer Rebell. Wenn er den Hausmeister (Jürgen Tarrach) und vor allem die Musiklehrerin (Béatrice Jean-Philippe) piesackt, dann zeugt das nur von Unreife und nicht von kritischem Geist, wie man ihn vom Kopf einer Band namens Systemfehler erwarten könnte. Deren Punk-Attitüde ist alles andere als glaubwürdig und Songs wie „Konsuminfarkt“ wirken im Kontext dieses so offensichtlich minutiös durchgeplanten Filmprodukts wie ein pseudo-kritisches Feigenblatt. Das liegt vor allem daran, dass nicht nur Tim Oliver Schultz („Die Welle“) als Max mit einer allzu oberflächlich und einseitig angelegten Figur zu kämpfen hat, sondern auch seine drei Bandkollegen. Da gibt es dann den Schüchternen, den etwas Verrückten mit einem (natürlich harmlosen) Drogenproblem und den Ehrgeizig-Eifersüchtigen, der unausweichlich einen Verrat begehen muss. All diese Wendungen und Wandlungen werden kaum emotional unterfüttert, lieber nimmt man schale Gags am Wegesrand mit: So schleppt der zum Sozialdienst verdonnerte Fabio, die ihm anvertraute Dame im Rollstuhl immer und überallhin mit, was dann für Lacher sorgen soll.  

    Die Besetzung der Band scheint nach dem Prinzip einer Casting-Show erfolgt zu sein, so offensichtlich unterschiedlich sind die Typen schon rein äußerlich. Dass die Jungs Freunde sein sollen, bleibt weitgehend Behauptung und wenn der Platten-Produzent sich, als er vom weiblichen Neuzugang erfährt, über die gut vermarktbaren „Titten“ freut, dann ist das zwar durchaus ein gelungener Seitenhieb auf die Praktiken im Musikbusiness, aber allzu weit von diesen entfernt ist ganz offensichtlich auch das Kalkül der Filmemacher nicht. Damit dieses aufgehen könnte, müssten die grob ausgeschlachteten Klischees allerdings deutlich stärker hinterfragt und unterlaufen werden als es hier zumeist erfolgt. Diese Rolle wird fast ausschließlich dem Superstar der späten 50er und 60er Jahre überlassen: Peter Kraus („Wenn die Conny mit dem Peter“) glänzt als ehemaliger Schlagersänger, der genüsslich seine Todessehnsucht auslebt, was in einer köstlichen Szene in einem Bestattungsinstitut gipfelt, in der Herb in verschiedenen Sargmodellen probeliegt. Kraus spielt den Spleen der Figur voll aus, gibt ihm aber auch jene emotionale Grundierung, die dem Film sonst so oft fehlt.

    Fazit: „Systemfehler – Wenn Inge tanzt“ ist eine schwungvolle, aber extrem oberflächlich erzählte Teenie-Komödie, die durch gute Musikeinlagen und einen denkwürdigen Auftritt von Altrocker Peter Kraus aufgewertet wird.

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