Der Titel deutet es an: Nadir Moknèches „Goodbye Morocco“ erzählt vom Wunsch vieler (Nord-)Afrikaner, ihre Heimat zu verlassen und in den scheinbar goldenen Westen zu migrieren. So auch die umtriebige Dounia, die in Tanger eine Baustelle betreut und sich nichts sehnlicher wünscht, als mit ihrem Sohn das Land zu verlassen. Dass sie bereit ist, für dieses Ziel auch zu mehr als fragwürdigen Mitteln zu greifen, macht sie zu einer faszinierend ambivalenten Figur, die Moknèches Drama auch dann zusammenhält, wenn die bisweilen allzu zahlreichen Nebenhandlungen es zu zerreißen drohen.
In der marokkanischen Hafenstadt Tanger leitet Dounia (Lubna Azabal) zusammen mit ihrem serbischen Geliebten Dimitri (Rasha Bukvic) eine Baustelle. Beim Ausheben des Fundaments stoßen die meist illegalen Arbeiter auf eine verborgene Höhle, in der sich wertvolle, frühchristliche Fresken verbergen. Dounia wittert die Chance auf viel Geld und beschließt, die Fresken unter der Hand zu verkaufen. Mit dem Geld will sie endlich mit ihrem kleinen Sohn Jawad, der in der Obhut des Vaters lebt, das Land verlassen. Doch als der junge nigerianische Arbeiter Gabriel (Ralph Amoussou) tot aufgefunden wird, beginnt die Situation zu eskalieren. Zumal Dounias Assistent und Fahrer Ali (Faouzi Bensaïdi), der einst von ihrer Mutter aufgenommen wurde und für Dounia eine Art Bruder ist, nicht länger nur ein platonischer Gefährte sein will.
Eine Mutter, die alles für ihr Kind tut. Das hätte leicht eine kitschig-sentimentale Geschichte werden können, in der sich eine Mutter gegen widrige Umstände durchsetzt, um am Ende ihr Kind in den Armen zu halten. Widrig sind die Umstände auch hier, auch wenn offen bleibt, warum Dounia ihr beim Vater lebendes Kind nur selten zu Gesicht bekommt. Angesichts von Dounias freizügigem Lebensstil, ihrem legeren, bisweilen erotischen Kleiderstil, ihren Affären und einer Art, die eher westlich als arabisch geprägt sind, deutet Nadir Moknèche aber eine Antwort an.
Vom ersten Moment an inszeniert er eine vollkommen selbstständige Frau, die auch in einer von Männern geprägten Gesellschaft ihren Willen durchsetzt – und dabei ein ums andere Mal aneckt. Voller Autorität führt sie die Baustelle, schmiedet ohne Skrupel den Plan, eine wertvolle archäologische Reliquie aus dem Land zu schmuggeln und letztlich auch Freunde und Geliebte zu verraten, um das über allem stehende Ziel zu erreichen.
Lubna Azabal – die in Belgien geboren wurde, aber marokkanischer Abstammung ist und in Filmen wie „Paradise Now“, „Body Of Lies“ oder zuletzt in „Die Frau, die singt“ Eindruck hinterließ – spielt diese Figur mit großer Emphase und Überzeugung. Eine ganze Weile bleiben die Intentionen Dounias unklar, zumal die Ambivalenz ihrer Handlungen durch eine verschachtelte Erzählweise, bei der immer wieder in den Zeiten hin- und hergesprungen wird, noch betont wird. Doch nach und nach offenbaren sich dadurch die Zusammenhänge der Figuren, wird deutlich, wie kalt Dounia auf den Unfalltod des Arbeiters Gabriel reagiert hat.
In der Figur des aus Nigeria stammenden Gabriel wird das Thema Migration variiert: Wie so viele Schwarzafrikaner ist er in Nordafrika gelandet und hofft nun auf eine Möglichkeit, die Straße von Gibralter zu überqueren, um nach Europa zu kommen. Die wichtigere Nebenfigur ist aber Ali, Dounias quasi adoptierter Halbbruder, in dem sich die nicht immer unproblematische Sexualmoral der marokkanischen Gesellschaft andeutet. Dass mit Gabriels Affäre zu einem Exil-Franzosen auch noch das Thema Homosexualität abgehakt wird, ist zwar dann eine Nebenhandlung zu viel. Doch zum Glück hält sich Moknèche nie lange mit den Nebenfiguren auf und kehrt immer wieder schnell zum Zentrum seiner Geschichte zurück. Zurecht, denn mit der von Lubna Azabal so ambivalent angelegten Dounia hat er eine Frauenfigur im Mittelpunkt, die mit ihrer gleichermaßen nachvollziehbaren, wie skrupellosen Konsequenz aus einer an sich simplen Mutter-Kind-Geschichte, ein packendes, vielschichtiges Drama macht.
Fazit: Anhand einer faszinierend ambivalenten Hauptfigur erzählt Nadir Moknèche in „Goodbye Morocco“ von dem Wunsch nach einem besseren Leben, und was man bereit ist, dafür zu tun. Ein packendes Drama mit einer herausragenden Lubna Azabal in der Hauptrolle.