Nach dem inzwischen fast schon legendären Erfolg von Oren Pelis Low-Budget-Selfmade-Horror „Paranormal Activity“ 2009 haben die Produzenten ein nicht nur ultra-profitables, sondern alles in allem auch erstaunlich einfallsreiches Found-Footage-Franchise etabliert, das im Jahresrhythmus auf vier Teile angewachsen ist. Trotzdem schien durchaus eine gewisse Skepsis angebracht, als im Anschluss an „Paranormal Activity 4“ neben einer weiteren Fortsetzung (Folge 5 soll zu Halloween 2014 in die Kinos kommen) auch ein erstes offizielles Spin-off angekündigt wurde: Die Idee eines Ablegers des Horror-Hokuspokus speziell für die hispano-amerikanische Zielgruppe wirkte zunächst einmal wie ein reiner Marketing-Kniff. Doch statt eines öden Latino-Abklatsches präsentiert uns Christopher Landon mit „Paranormal Activity: Die Gezeichneten“ einen frischen und recht humorvollen Horror-Thriller. Dass der Filmemacher, der nach seiner Beteiligung an den Drehbüchern zu den Teilen 2 bis 4 diesmal zusätzlich auf den Regiestuhl befördert wurde, dabei auch noch einen überraschenden finalen Dreh findet, um das Geschehen mit der Original-Reihe zu verknüpfen, ist ein willkommener Bonus für die Fans. Zugleich unterstreicht dies aber, dass dieser Film auch einfach „Paranormal Activity 5“ heißen könnte.
Jesse (Andrew Jacobs) hat gerade frisch seinen Abschluss an der Lincoln Highschool in seiner Heimatstadt Oxnard, unweit von Los Angeles gemacht. Nun will er erst einmal das Leben genießen und zieht mit seinem Kumpel Hector (Jorge Diaz) durch sein Viertel – die Digitalkamera haben sie immer dabei. Ihre Neugier wird angestachelt, als die Nachbarin Anna (Gloria Sandoval) tot aufgefunden wird. Es ist die Rede von Selbstmord oder gar Mord und dazu machen Gerüchte von einem Fluch die Runde. Die Jungs schleichen sich in die verlassene Wohnung der Verstorbenen und machen eine unheimliche Entdeckung: In einem Geheimzimmer finden sie Videokassetten, Fotos und rituelle Gegenstände, die auf übernatürliche Phänomene hinweisen. Auf einem der Bilder ist Jesse selbst zu sehen, der sich zunächst keinen Reim darauf machen kann. Als er am nächsten Morgen aus einem Albtraum erwacht, spürt er dann jedoch, dass sich etwas in ihm verändert hat. Es beginnt eine erschreckende Kette von Ereignissen und Jesse scheint einem baldigen Tode geweiht. Einzig Ali Rey (Molly Ephraim) scheint etwas über den rätselhaften Fluch zu wissen und darüber, wie man ihn besiegen kann.
Die erste Frage, die sich bei einem Spin-off unweigerlich stellt, ist die nach der Beziehung zum Originalstoff. Wieviel „Paranormal Activity“ steckt also in „Die Gezeichneten“? Die Antwort: zunächst recht wenig, dann aber immer mehr. Regisseur Landon befreit die Kamera zu Beginn aus den poltergeistverseuchten eigenen vier Wänden, in denen sich die bisherigen Filmen des Franchise oft fast ausschließlich abspielten, aber verzichtet keineswegs auf das Found-Footage-Prinzip. Er lässt die Kumpel Jesse und Hector in ihrer hispanischen Nachbarschaft in Oxnard einfach drauflosfilmen, was zu den typisch verwackelten Aufnahmen führt. Die beiden Teenager haben allerlei pubertären Schabernack im Sinn und wenn sie sich in einem Wäschekorb eine Treppe herunterstürzen („Ich bin auf den Schwanz gefallen“), dann sind wir schon fast in „Jackass“-Territorium. Als mit dem vermeintlichen Selbstmord der Nachbarin Anna schließlich das Unheimliche Einzug in den Film hält, schnüffeln die beiden ebenso voyeuristischen wie neugierigen Freunde selbstverständlich heimlich in deren Wohnung herum – „Das Fenster zum Hof“ lässt grüßen (dem Hitchcock-Klassiker hat Landon schon in seinem „Disturbia“-Drehbuch die Ehre erwiesen).
Die Infrarotaufnahmen aus der tiefen Dunkelheit der Nachbarwohnung erinnern in ihrer aus der Orientierungslosigkeit erwachsenden Spannung an „[Rec]“, hier setzt Landon die ersten Schock-Nadelstiche und versorgt uns mit Puzzlestücken eines gruseligen Geheimnisses. Es folgen einige ordentlich ausgeführte Genre-Standards (die Katze!), wahrhaft unheimlich ist es aber, wenn Jesse nach heftigen Albträumen mit einer mysteriösen Bisswunde erwacht. Wie er darauf ganz neue Eigenschaften und Fähigkeiten an sich entdeckt, hat wiederum etwas von einer Comedy-Variante von „Spider-Man“: Landon versetzt die Horror-Erzählung immer wieder mit ironischem Humor und so nutzt er für die Kommunikation mit dem Jenseits nicht das übliche Ouija-Brett, sondern ein elektronisches Senso-Spiel (der vor allem in den 70ern und 80ern beliebte Klassiker heißt im englischen Sprachraum Simon), dessen Farb- und Tonkombinationen sich verselbständigen. Erst im letzten Drittel biegt Landon dann endgültig auf die aus den Vorgängern bekannten Horror-Bahnen ein und zeigt in einem verlassenen Haus, das einigen bekannt vorkommen könnte, dass er sich auch auf wenig subtile Schockeffekte versteht. Für die richtige Wirkung wird das Found-Footage-Prinzip indes spürbar aufgeweicht und es lässt sich bei dem atemlosen Rennen, Schreien und Erschrecken längst nicht mehr sicher sagen, wer die zu sehenden Bilder aufnimmt.
Fazit: Der Ableger zur paranormalen Erfolgsreihe ist ein würdiger Franchise-Neuzugang mit einigen frischen Ideen.