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    Der Fremde am See
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Der Fremde am See
    Von Michael Meyns

    Die Darstellung expliziter Sexualität in Filmen wird mitunter eher genutzt, Aufmerksamkeit zu erheischen als wirklich etwas zur Geschichte beizutragen. Bei Alain Guiraudies ausschließlich an einem FKK-Strand für Schwule samt angrenzender Cruising-Area spielendem Drama „Der Fremde am See“ sieht dies ganz anders aus: Selten wurde Nacktheit und Sexualität mit so großer Selbstverständlichkeit inszeniert und wirkten Körper so natürlich. Doch unter der Oberfläche einer schwulen Amour Fou erzählt Guiraudie von Obsessionen, der Angst vor dem Alleinsein und ihren – zumindest in diesem Fall – extremen Folgen.

    Frankreich, irgendwo im Süden, ein See, ein Strand, vereinzelte nackte Männer, die auf ihren Badetüchern liegen und Ausschau halten. Immer wieder schlägt sich einer in das Waldstück hinter dem Strand, finden sich Pärchen oder auch nicht. Franck (Pierre Deladonchamps) ist zum ersten Mal in diesem Sommer vor Ort und entdeckt sofort einen Mann, der es ihm angetan hat: Michel (Christophe Paou) wirkt wie eine Mischung aus "Magnum" Tom Selleck und "Queen"-Sänger Freddie Mercury und ist dementsprechend beliebt. So freundet sich Franck zunächst mit dem eher beleibten Henri (Patrick D’Assumcao) an, der immer etwas abseits sitzt und als Hetero mit gelegentlichen homosexuellen Erfahrungen ohnehin nicht ganz in die Runde passt. Eines Abends, der Strand ist praktisch verlassen, beobachtet Franck wie Michel seinen aktuellen Lover im Wasser ertränkt. Das hält ihn jedoch nicht davon ab, am nächsten Tag eine Affäre mit Michel zu beginnen, die zunehmend intensiver wird. Während Henri die Entwicklungen am Strand aus der Distanz beobachtet, taucht immer häufiger ein Kommissar (Jérôme Chappatte) auf, der in der schwulen Gemeinde nach dem Mörder sucht.

    Dass Regisseur Alain Guiraudie („König der Fluchten“) selbst homosexuell ist und auch als Dokumentarfilmer Erfahrung besitzt, merkt man seinem neuen Film deutlich an. Auch wenn die meist statischen Scope-Bilder streng komponiert sind, mutet „Der Fremde an See“ in seiner Beschreibung schwulen Lebens und vor allem schwulem Balzverhalten in einem Maße authentisch, wie man es selten gesehen hat. Ganz beiläufig inszeniert Guiraudie Blicke, das Abchecken von Neuankömmlingen, das Cruisen im angrenzenden Waldstück. So natürlich ist die gezeigte Nacktheit, dass selbst kurze explizite Sexszenen in keiner Weise voyeuristisch oder plakativ wirken.

    Doch mit einer reinen Darstellungen schwuler Sexualität ist es für Guiraudie nicht getan: Zunehmend verlagert sich sein Blick vom bloßen Beobachten der äußerlichen Aktivitäten zur subtilen Analyse psychologischer Muster. In erster Linie geschieht dies in Gestalt von Franck, der sich mit einem Mörder einlässt, wohl wissend, dass er sich damit selbst in Gefahr bringt oder gar selbst zum Verdächtigen wird. Aber auch in der Figur Henris, der sich gerade von seiner Freundin getrennt hat und nun allein mit sich und seinem Leben hadert, vertieft der Regisseur diesen Aspekt. Auf welche Weise er am Ende das Duo Franck/Michel zu einem Trio erweitert, ist dann allerdings nicht ganz unproblematisch und bringt Guiraudies Film nah an die Grenze zur schwulen Exploitation.

    Die Ähnlichkeiten zu Williams Friedkins legendärem Al-Pacino-Thriller „Cruising“, der wegen seiner Verknüpfung von Sex und Mord höchst umstritten war, sind sicher nicht zufällig. Doch Guiraudie lehnt sich ebenso an die erotische Prosa des französischen Schriftstellers Georges Bataille und dessen Beschreibungen von zu Obsessionen werdenden Begierden, von der schmalen Grenze zwischen hartem Sex und Gewalt, an. Dabei bedient sich der Regisseur auch etlicher schwuler Stereotype, was sich vor allem in Nebenfiguren und Running Gags, die eher Fehl am Platz wirken und die sich stetig intensivierende Spannung untergraben, äußert. Doch am Ende bleibt vor allem die präzise Regie: Die wenigen Schauplätze werden in immer neuen Varianten gezeigt, der Verlauf von Tagen und Wochen durch leichte Variationen angedeutet und dabei auf subtile Weise von menschlichen Emotionen erzählt.

    Fazit: Mit „Der Fremde am See“ ist Alain Guiraudie ein exzellent gefilmtes Drama gelungen, das gegen Ende zwar einige nicht ganz überzeugende Wendungen nimmt, über weite Strecken jedoch dicht und packend inszeniert ist und nicht zuletzt so natürlich und authentisch wie man es selten gesehen hat von schwuler Sexualität erzählt.

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