Schönheitsoperationen sind schon längst nicht mehr den oberen Zehntausend vorbehalten. Chirurgische Eingriffe jeglicher Art - von Brustvergrößerungen über das Absaugen von Körperfett bis hin zur Nasenkorrektur - sind in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Ein neuer Busen in Bulgarien, eine neue Nase in der Türkei – Kliniken im europäischen Ausland bieten die Operationen heute zu Spottpreisen an und über entsprechende Reiseanbieter auch häufig gleich in Kombination mit einem touristischen Wochenendtrip. Diesen interessanten Trend lässt Carolin Schmitz („Portraits deutscher Alkoholiker") in ihrer Dokumentation „Schönheit" leider völlig außen vor. Sie beschränkt sich auf die Welt der Reichen und – ja – Schönen und vermag der Diskussion um Botox, Silikon und Co. daher nur wenig neue Aspekte abzugewinnen.
Die namenlosen Interviewpartner, die in der Dokumentation über ihre Erfahrungen berichten, kommen aus unterschiedlichen Bereichen der Gesellschaft, teilen aber eine Gemeinsamkeit: Sie haben sich einer oder mehrerer Schönheitsoperationen unterzogen und verfügen über das nötige Kleingeld, sich problemlos eine weitere leisten zu können. Eine toughe Karrierefrau, die sich für straffe Haut und gegen Kinder entscheidet, eine einsame Bankangestellte, deren Silikonbusen allenfalls die Katzen in ihren eigenen vier Wänden zu sehen bekommen, eine übergewichtige Hausfrau, die das Geld ihres gut verdienenden Gatten in eine Magenband-OP investiert, erfolgreiche Chirurgen und Unternehmer mit gelifteten Augenpartien sowie nicht zuletzt eine internetaffine Hausfrau, die nach ihrer Brustvergrößerung ihren neuen Lebensinhalt in der Betreuung eines entsprechenden Web-Forums gefunden hat: Sie alle haben sich operieren lassen und würden es jederzeit wieder tun...
Welchen Effekt Carolin Schmitz mit ihrer knapp achtzigminütigen Dokumentation beim Zuschauer erzielt, hängt erheblich von dessen eigener Einstellung zu Schönheitsoperationen ab. Wer sich selbst hat operieren oder liften lassen und mit dem Ergebnis zufrieden ist, wird sich im Film wiederfinden: Schmitz interviewt ausschließlich glückliche Patienten und Chirurgen, die geradezu penetrant von den vorgenommenen Eingriffen und Resultaten schwärmen und jedem empfehlen, es auch zu tun. Wer bisher keine Erfahrung mit Schönheitsoperationen gesammelt hat, Botox und Co. aber positiv gegenübersteht, könnte „Schönheit" glatt als Werbefilm missverstehen. Interessant wird es eigentlich erst dann, wenn der Zuschauer kritisch an die Sache herangeht: So entlarvt sich ein gelifteter Unternehmer, der seine ausgesuchten Partygäste dazu verdonnert, mit mindestens einem rosafarbenen Kleidungsstück in seinem Garten zu erscheinen, selbst als oberflächlicher Neureicher: „Das bin ich mir selbst und meinen Mitmenschen schuldig", gibt der Mittfünfziger zu Protokoll, ohne nach dem Grund für das Straffen seiner Augenpartien gefragt worden zu sein.
Regisseurin Schmitz enthält sich jedes Kommentars und lässt das Handeln ihrer Interviewpartner zwischen individueller Selbstbestimmung und dem Drang, gesellschaftlichen Schönheitsnormen zu entsprechen, für sich wirken. Dass in ihrer Dokumentation aber weder Geringverdiener, noch Ärztepfusch-Opfer oder auch unzufriedene Teenager zu Wort kommen, engt den Blickwinkel erheblich ein. Gerade die missglückten Eingriffe, die den Boulevard-Medien regelmäßig Stoff für reißerische Artikel liefern, vernachlässigt Schmitz völlig. So bekommt der kritische Zuschauer angesichts der fürchterlich oberflächlichen Interviewpartner zwar reichlich Gelegenheit zum Augenrollen, neue Denkanstöße liefert Schmitz aber nicht. Immerhin: „Schönheit" verkommt nicht zur billigen Fleischbeschau, nur eine einzige Frau ist nackt zu sehen.
Fazit: Wer schön sein will, muss leiden – für die Patienten, die in „Schönheit" zu Wort kommen, gilt das angesichts ihrer Zahlungskraft und der ausnahmslos positiven OP-Resultate nur in begrenztem Maße. Carolin Schmitz beleuchtet das Thema Schönheitsoperationen zu einseitig, als dass sie mit ihrer Dokumentation etwas wirklich Neues zu erzählen hätte.