Wie schon in seiner ersten Dokumentation „David Wants to Fly" erzählt Regisseur David Sieveking auch im Nachfolger „Vergiss mein nicht" eine persönliche Geschichte. Erneut steht der Regisseur selbst vor die Kamera, der Fokus liegt jedoch auf einer anderen Person: seiner Mutter. Aus einer ebenso privaten, jedoch weitaus intimeren Sicht als in seinem Debütfilm zeigt er die fortschreitende Demenz von Gretel Sieveking und zeichnet das Porträt einer bemerkenswerten Frau.
David Sievekings Eltern Gretel und Malte gehören zur politisierten Generation der 68er. Weil sie sich in einer kommunistischen Organisation engagierte, wurde Gretel sogar durch den Schweizer Staatsschutz überwacht. Das Paar führte eine offene Ehe, die immer wieder durch Affären auf die Probe gestellt wurde, doch die Beziehung hielt. Mit Gretels einsetzender Demenz hat sich das Zusammenleben der Eheleute verändert – zum Positiven. Gretel und Malte sind näher zusammengerückt. Denn während Filmemacher David Sieveking die Vergangenheit seiner Mutter aufrollt, lernt auch der Vater seine Frau auf einer ganz neuen Ebene kennen und lieben.
„Vergiss mein nicht" ist nicht nur ein Film über Alzheimer, sondern vor allem über die Liebe zwischen Mann und Frau, aber auch zwischen Eltern und Kindern. Anlass für den Film war zwar die fortschreitende Demenz seiner Mutter, doch indem David Sieveking deren Lebensgeschichte genauer unter die Lupe nimmt, untersucht er auch die Beziehung zwischen Gretel und ihrem Ehemann. So gelingt es ihm, dem tragischen Teil der Geschichte etwas Positives entgegenzusetzen, was auch für den Zuschauer eine willkommene Entlastung darstellt. Gretel trägt im Übrigen selbst maßgeblich dazu bei, dass „Vergiss mein nicht" keine übermäßige Tragik entfaltet, denn aus ihren Augen spricht häufig große Freude. Und je besser der Zuschauer die Protagonisten des Films kennenlernt, desto eher traut er sich auch, über die komischen Seiten der Situation, die es ohne Frage ebenso gibt wie die tragischen, zu lachen.
„Vergiss mein nicht" ist unverkennbar ein Werk der Liebe, dennoch ist der sehr private Einblick in die Geschichte der Familie Sieveking nicht unproblematisch. Bisweilen fühlt man sich als Zuschauer in die Position eines Voyeurs versetzt, der Dinge zu Gesicht bekommt, die nicht für seine Augen bestimmt sind. Besonders gegen Ende des Films bewegt sich David Sieveking, der hier auch als Erzähler fungiert, seine persönlichen Auftritte im Vergleich zu „David Wants To Fly" jedoch deutlich zurücknimmt, im absoluten Grenzbereich. Indem er sich aber eben nicht auf die bloße Dokumentation des geistigen und körperlichen Verfalls seiner Mutter konzentriert, sondern deren Biografie in den Mittelpunkt stellt, behält Gretel trotzdem stets ihre Würde.
Fazit: „Vergiss mein nicht" ist ein eindringliches und sehr persönliches Porträt einer Alzheimer-Erkrankung, ebenso aber eine ganz besondere Liebesgeschichte. Regisseur David Sieveking gewährt dem Zuschauer einen immens privaten Einblick in das Innenleben seiner Familie, der ebenso berührend wie fragwürdig ist.