Obwohl das japanische Multitalent Takeshi Kitano als Buchautor, als Maler, als Gastgeber und Moderator von bizarren TV-Shows sowie als Regisseur von hübsch-verschrobenen Kunst- und Experimentalfilmen immer wieder für Aufsehen sorgt und gerade in seiner Heimat auch Erfolge feiert, wollen ihn doch vor allem seine westlichen Fans immer wieder in der Rolle sehen, die ihm außerhalb des Landes der aufgehenden Sonne zu Kino-Kultstatus verhalf: als stoischen Vollstrecker, Yakuza-Außenseiter, grimmigen Killer. 2010 gab der Regisseur und Schauspieler diesen Rufen nach, schlüpfe zehn Jahre nach „Brother“ erstmals wieder in die Rolle eines Yakuza und lieferte mit „Outrage“ einen unterkühlten Schocker ab, der angesichts seines Zynismus und seiner mitleidlosen Härte wie eine Abrechnung mit dem Genre wirkt. Das japanische Publikum nahm die schallende Ohrfeige mit Handkuss und machte „Outrage“ zu Kitanos erstem Kassenerfolg seit mehreren Jahren. Mit „Outrage Beyond“ legt Kitano nun eine Fortsetzung vor, die die Temperatur noch weiter sinken lässt. Dieser Gangsterstreifen ist so eisig, dass es selbst dem Tod frösteln würde.
Nachdem der intrigante Kato (Tomokazu Miura) und der skrupellose Schreibtischtäter Ishihara (Ryo Kase) im ersten Teil die Macht über den großen Sanno-Clan an sich gerissen haben, scheffeln sie Geld im Überfluss und haben sich sogar als Börsenhaie etabliert. Die alte Garde ist alles andere als glücklich über den Marktradikalismus, der auf die alten Bräuche der ehrenwerten Yakuza-Gesellschaft pfeift und Profitmaximierung zum Maß aller Dinge erhoben hat. Immer wieder gibt es Streitigkeiten im kleineren Management, die jedoch zumeist mit aller Härte im Keim erstickt werden. Als die Sanno-Führung jedoch nicht einmal mehr vor dem Mord an einem ranghohen Polizisten zurückschreckt, fasst der undurchsichtige Ermittler Kataoka (Fumiyo Kohinata) den Plan, die von Hybris zerfressene Führungsetage zu zerschlagen. Er zettelt Streit mit einer weiteren Großfamilie an und motiviert Überläufer. Damit nicht genug, holt er auch den legendären Ohtomo (Takeshi Kitano) aus dem Knast, damit dieser im Geflecht der verschiedenen Interessengruppen für zusätzliche Unruhe zu sorgen. Einmal auf freiem Fuß schließt Ohtomo Frieden mit seinem einstigen Erzfeind Kimura (Hideo Nakano) und macht sich daran, alte Rechnungen mit brutaler Endgültigkeit zu begleichen.
„Outrage Beyond“ steht in einem ähnlichen Verhältnis zu seinem Vorgänger wie Francis Ford Coppolas „Der Pate 2“ zu „Der Pate“ oder wie Johnnie Tos „Election 2“ zu „Election“. Die Materie mag dieselbe und der Stil ein ähnlicher sein, doch im Detail ist alles runder und im Ganzen einen entscheidenden, kleinen Tick besser umgesetzt. Noch unbarmherziger entwickelt sich die Geschichte, noch fließender ist der Rhythmus, noch schonungsloser die Gewalt. Und auch stilistisch erreichen Kitano und sein Kameramann Katsumi Yanagijima („Battle Royale“, „Zatoichi“, „Go“) neue Höhen. Praktisch jede Einstellung ist perfekt gewählt, so dass das Geflecht an Emotionen, Hierarchien und Intrigen in makelloser Klarheit eingefangen wird. Dass die Bildsprache dennoch nie artifiziell wirkt, sondern stets transparent und klar ist, unterstreicht die Klasse, über die Kitano und seine Mitarbeiter verfügen. Phasenweise fühlt man sich gar an Jean-Pierre Melville („Der eiskalte Engel“) erinnert, der mit ähnlicher Brillanz von innerlich toten Gangstern und Killern erzählte, deren Leben und Tod durch Stoizismus und Reduktion geprägt waren.
Selbst die Gewaltexzesse, die den Vorgänger im 5-Minuten-Takt zu unterbrechen schienen und in ihrer Verachtung für die Figuren manchen Zuschauer vor den Kopf stießen, sind einer abgeklärten Nüchternheit gewichen. Immer noch sprechen die Schusswaffen, jedoch oft nur Abseits der Leinwand. Gerade in der ersten Hälfte nimmt sich Kitano viel Zeit, das dichte Geflecht aus Politik, Yakuza und Polizei auszubreiten. Was allerdings nicht heißt, dass der Grundton zahmer geworden wäre. Auch wenn das im ersten Teil noch exzessiv betriebene „Creative Killing“ bis auf wenige Ausnahmen (in denen Bohrmaschinen und eine Baseball-Wurfmaschine zum tödlichen Einsatz kommen) zurückgeschraubt wurde, türmen sich auch in „Beyond Outrage“ bald die Leichen.
Doch gerade in der Inszenierung von Gewalt zeigt sich immer wieder das komödiantische Gespür Kitanos, der das dumpfe Dröhnen der Schüsse so gezielt setzt wie eine fiese Pointe am Ende eines bösen Witzes. So unvermittelt tritt der Tod von einer Sekunde zur Nächsten ein, dass „Outrage Beyond“ wirkt als wäre der rabenschwarze Showdown von „Departed - Unter Feinden“ auf Spielfilmlänge ausgedehnt worden. Mitgefühl für die Toten kommt da beim Zuschauer ganz sicher nicht auf. Dafür sorgt nicht nur die unterkühlte Inszenierung, sondern auch, dass wahrlich keine der Figuren zum Sympathieträger taugt.
Das gilt insbesondere für die erst spät ins Geschehen eingreifenden Ohtomo und Kimura, die charismatisch von Regisseur Kitano selbst und von Hideo Nakano („Zebraman 2“), dem heimlichen Herz des Films, verkörpert werden. Sie berufen sich zwar auf alte Ehrenkodexe, sind jedoch ebenfalls zu jeder Schandtat bereit. Dennoch taugen die einstigen Streithähne noch am ehesten als beinharte Antihelden. In ihren Figuren manifestiert sich der Traditionalismus, den Kitano als politischer Essayist und Schriftsteller schon oft hat anklingen lassen. In der verkommenen, von Illoyalität und Verrat gezeichneten Yakuza-Welt der „Outrage“-Saga, die freilich nur eine Metapher für die durch und durch korrupte Wirtschaftswelt ist, braucht es laut Kitano Überzeugungstäter und Männer vom alten Schlage, die ihr Fähnlein nicht bei jeder Böe neu ausrichten. So gestattet er den beiden betagten Yakuza-Recken hier immer wieder kleine Szenen, in denen sie sich als melancholische alte Krieger inszenieren können. Mit Ishihara und Kato stehen ihnen zwei Turbokapitalisten gegenüber, die unmissverständlich für marktradikalen Neoliberalismus stehen. Nicht zufällig werden sie zu Beginn noch als um ihre Hedgefonds besorgte Börsenyuppies gezeigt.
Zwischen den Fronten steht schließlich der opportunistische Polizist Kataoka, der sich im Unterwelt- Machiavellismus übt und stets die Fäden zu ziehen scheint. In seinen Intrigen und Ränkespielen erkennt man ihn schnell als bürgerlich-korrupten Schergen der Macht, der nicht an strukturellen Veränderungen oder einer Verbesserung der Welt interessiert ist, sondern nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist – egal in welchem System. Wie gut, dass es da noch Traditionalisten wie Ohtomo gibt, die sich die Welt im Zweifelsfall ganz einfach machen.
Fazit: „Outrage Beyond“ ist formvollendetes Yakuza-Kino in Gestalt eines unterkühlten Wirtschaftsthrillers. Der von Takeshi Kitano bereits angedeutete dritte Teil der „Outrage“-Saga kann gerne kommen.