Disneynature ist längst ein Erfolgslabel. Fünf der sechs an den US-Kinokassen erfolgreichsten Naturdokumentationen aller Zeiten tragen das Logo der Disney-Sparte. Insbesondere seit „Im Reich der Raubkatzen“ (2011) begnügt man sich bei Disneynature nicht mehr mit dem Zeigen eindrucksvoller Naturbilder, sondern es soll immer auch eine spannende Geschichte erzählt werden – fast so wie in den beliebten Animationsfilmen des Mäusekonzerns. Die damit einhergehende starke Vermenschlichung der Tiere hat ihre Schattenseiten, was sich bei der neuesten Produktion „Bären“ besonders deutlich zeigt. Denn wo beim Vorgänger „Schimpansen“ der Zufall den Machern eine unglaubliche und sensationelle „echte“ Story bescherte, fehlt eine solche außergewöhnliche Wendung im Film über das erste Jahr im Leben zweier Bärenbabys. Um trotzdem für Spannung zu sorgen, greifen Disneynature-Chefregisseur Alastair Fothergill und der nach „Im Reich der Raubkatzen“ zum zweiten Mal als sein Co-Regisseur agierende Keith Scholey auf die überdeutliche Dämonisierung anderer Tiere zurück – ein mehr als ärgerlicher Kniff, dem die gewohnt großartigen, eindrucksvollen und aus nächster Nähe gefilmten Natur- und Tieraufnahmen gegenüberstehen.
Über die Wintermonate hat Braunbärenmutter Sky zwei kleine Babys zur Welt gebracht: den neugierigen Stout und seine sehr anhängliche Schwester Amber. Für Sky und ihre Babys bricht nun ein schweres Jahr an. Erst einmal müssen sie von den höchsten Bergen Alaskas ins tiefste Tal herabsteigen, denn nur dort findet sich in den Sommermonaten genug Essen zum Überleben. Doch die Gefahren sind zahlreich. Im Gebirge können Lawinen den Tod bringen und selbst auf den malerischen Talwiesen lauern überall Bedrohungen: Andere hungrige Braunbären schrecken nicht davor zurück, über kleine Babys herzufallen und Wolf Tikaani schleicht ständig um die Kleinfamilie herum, in der Hoffnung eines der Jungtiere zu isolieren und reißen zu können. Und Sky weiß, dass sie im Sommer genug Lachse fangen muss, um sich reichlich Speck für den Winter anzufressen. Sonst stehen die Chancen schlecht, ihre Babys während des sechsmonatigen Schlafs ausreichend mit Milch versorgen zu können.
Als in „Schimpansen“ die Mutter des kleinen Affen Oscar stirbt, passierte etwas Ungewöhnliches. Statt den hilflosen Jungen zurückzulassen, wie es eigentlich üblich wäre, nahm sich ausgerechnet das männliche Alpha-Tier der Herde Oscars an. Dies war ein aus Forschersicht sensationeller Vorgang, der den Filmemachern gleichsam nebenbei eine eindrucksvolle „Vater-Sohn“-Geschichte bescherte. Die Tiere sorgten gleichsam selbst für die Story, sie musste nur noch in der Montage zusammengesetzt werden. In „Bären“ laufen die Dinge dagegen so ab, wie es aus Biologensicht zu erwarten war: Eine Braunbärenmutter mit zwei kleinen Zöglingen muss ihren Nachwuchs beschützen und im Sommer genug Nahrung finden, damit die Kleinfamilie anschließend auch den Winter überlebt. Alastair Fothergill („Unsere Erde“) zeigt bei der Gelegenheit erneut, dass er der momentan wohl beste Naturfilmer ist. Ganz nah rückten er und sein Team an die Tiere heran, lebten fast in ihrer Mitte und fingen eindrucksvolle, zum Teil so noch nie gesehene Bilder ein. Diese verstärken sie mit imposanten Naturaufnahmen. Zu Beginn dominiert die Schnee- und Eislandschaft, später gibt es grüne Blumenwiesen, auf der sich die Bären in der Sonne räkeln. Besonders faszinierend sind die Aufnahmen, die die Protagonisten beim Fischen zeigen, während ihnen die Lachse förmlich ins Maul springen.
Mit ausschließlich realistischen Natur- und Tieraufnahmen gibt man sich bei Disneynature nicht zufrieden. Die tierischen Protagonisten werden zur besseren Identifikation stark vermenschlicht, dabei spielt auch der „Niedlichkeitsfaktor“ eine gewichtige Rolle – aus wilden Raubtieren werden knuffige Teddys, die vorsichtig durch die Gegend tapsen und neugierig ihre Umwelt erkunden, wobei ihnen natürlich auch das ein oder andere für den Zuschauer amüsante Missgeschick passiert. Zu dieser Strategie trägt auch die Erzählerstimme bei (in der Originalfassung gesprochen von Schauspieler John C. Reilly), die das Geschehen mal von außen kommentiert, mal den Bären Worte in den Mund legt und ihre vermeintlichen „Gedanken“ wiedergibt. Und bei einer Gefahr für die bärigen Helden ist der Erzähler besonders engagiert bei der Sache: Zwei große Braunbären werden genauso wie Wolf Tikaani durch Kommentare und entsprechende Musikuntermalung als Bösewichte und Feinde gekennzeichnet. Schon bevor einer der Bären Sky attackiert und versucht, an ihre Kinder zu kommen und der Wolf immer wieder bedrohlich um die Familie herumschleicht, übertreiben es die Macher immer wieder mit ihrem bisweilen sehr konstruierten Spannungsaufbau. Ähnliches gilt, wenn eine Lawine, die an einem benachbarten Hang heruntergeht, zur Gefahr für die Bärenfamilie hochstilisiert wird: Auf das Konzept von Disneynature, Emotionen im Zweifel über die Fakten zu stellen, muss man sich einlassen, wenn man Gefallen an „Bären“ finden will.
Fazit: „Bären“ ist ein typischer Film aus dem Hause Disneynature: Beeindruckende Naturaufnahmen werden gepaart mit einer künstlich konstruierten und übertrieben dramatisierten Geschichte.