Nach seinem Film „Gilles‘ Wife“ gönnte sich der belgische Regisseur Frédéric Fonteyne eine Auszeit von acht Jahren, um sich Gedanken über seine weitere künstlerische und persönliche Entwicklung zu machen. Das Ergebnis ist sein neuer Film „Tango Libre“, für den Fonteynes Lebensgefährtin Anne Paulicevich das Drehbuch geschrieben hat und in dem sie auch ihre erste große Hauptrolle spielt. Als Tragikomödie angelegt, überzeugt „Tango Libre“ mit einer interessanten Figurenkonstellation und guten Darstellern. Doch beim ambitionierten Versuch, die befreiende Kraft des Tanzes zu beschwören, hat Fonteyne immer wieder Probleme, den richtigen Ton zu treffen.
JC (François Damiens) ist ein prinzipientreuer Gefängniswärter, dessen einziger Gefährte ein 15 Jahre alter Goldfisch ist. Um ein wenig mehr Würze in sein Leben zu bringen, besucht der gehemmte Pedant einmal in der Woche einen Tangokurs, bei dem er Alice (Anne Paulicevich) kennen lernt, von deren offener Art er fasziniert ist. Umso überraschter ist JC als er Alice am nächsten Tag als Besucherin im Gefängnis wieder trifft. Alice und ihr 15 jähriger Sohn besuchen sowohl Alices Ehemann Fernand (Sergi López) als auch ihren Geliebten Dominic (Jan Hammenecker). Die beiden Männer teilen sich die gleiche Zelle, in der sie nach einem gemeinsamen Raubüberfall ihre Strafe absitzen. Während Fernand zehn Jahre einsitzt, hat Dominic, der bei dem Überfall einen Mann erschoss, 20 Jahre bekommen. Die komplizierte Beziehung zwischen den beiden Männern, die zwar Freunde sind, aber auch die gleiche Frau lieben, droht endgültig zu explodieren, als sie erfahren, dass Alice mit JC zum Tanzunterricht geht.
Hat man die ungewöhnliche Prämisse des Films akzeptiert, beginnt die Melange aus Gefühlschaos, Knastromantik und Tangotanz einen ganz eigenen Reiz zu entwickeln. Geschickt lässt Fonteyne verschiedene Typen aufeinander treffen: JC ist der Prototyp des sozial ungeschickten Ordnungsmenschen, dessen Unsicherheit und Verwirrung dort anfangen, wo sich Dienstvorschriften an der Wirklichkeit reiben. Doch in der Brust des Pedanten schlägt ein großes Herz. Dies trifft allerdings auch auf die Knastinsassen Fernand und Dominic zu. Mit ihrem nuancierten Spiel verleihen Sergi López („Die Affäre“) und Jan Hammenecker („Ex Drummer“) ihren Figuren Komplexität und Substanz, was dem von François Damiens („Nathalie küsst“) verkörperten JC etwas fehlt. Inmitten dieses ungleichen Trios steht die lebenslustige Alice, der Anne Paulicevichs dynamisches Spiel große Glaubwürdigkeit verleiht. Gleichzeitig ist Paulicevichs Drehbuch jedoch ähnlich unentschlossen wie die von ihr gespielte Figur: Mal steht der eine, mal der andere Protagonist im Mittelpunkt und in den Schlussminuten wird „Tango Libre“ schließlich sogar zur Farce.
Bevor „Tango Libre“ mit einem brachialen Finale zu einem mauen Ende geführt wird, hat die Tragikomödie eine ganze Reihe schöner Momente. Besonders stark sind die präzise eingefangenen Tangoszenen, die auf überzeugende Weise die Energie und Eleganz des argentinischen Nationaltanzes vermitteln. Ebenso gelungen ist eine Sequenz, in der Fernand im Gefängnis verzweifelt nach einem Argentinier sucht, der ihm das Tangotanzen beibringt und am Ende tatsächlich einen argentinischen Prachtmacho zu einer Tanzstunde überreden kann. Als daraufhin der völlig irritierte und verwirrte JC zusehen muss, wie eine immer weiter anwachsende Anzahl der Gefängnisinsassen zu Tanzen anfängt, funktioniert das von Frédéric Fonteyne erstrebte Schlittern am Rande der Absurdität wunderbar. Nicht immer verbinden sich allerdings die einzelnen Elemente so überzeugend zu einer Einheit.
Fazit: Frédéric Fonteynes „Tango Libre“ zeigt in seinen besten Momenten das pralle Leben in all seiner Widersprüchlichkeit und kontrastiert gekonnt die Unfreiheit des Gefängnisses mit der Freiheit des Tangotanzes. Doch selbst die zum Teil großartigen Schauspielleistungen machen einige Drehbuchschwächen nicht immer wett.