Schon in seiner preisgekrönten Dokumentation „Babooska“ setzte sich das Regieduo Tizza Covi und Rainer Frimmel mit dem Wanderzirkus als Mikrokosmos einer verschworenen Gruppe, die am Rande der Gesellschaft ein abgekapseltes Leben führt, auseinander. Auch ihr erster Spielfilm „La Pivellina“ bewegte sich in einer ähnlichen Umgebung, erzählten sie hier doch von einem zweijährigen Mädchen, das ausgesetzt und von Artisten aufgenommen wurde. In der Tragikomödie „Der Glanz des Tages“ ist der Wanderzirkus nun nur noch der Ausgangpunkt für den Artisten Walter, der seinen berühmten Neffen in Hamburg besucht. In ihrem typischen semidokumentarischen Stil lassen die Regisseure fiktionale und biographische Ebenen verschwimmen und zwei höchst unterschiedliche Persönlichkeiten über Kunst als Lebenselixier und als Ausgangspunkt für Eitelkeiten philosophieren.
Seit langem versucht der alternde Artist Walter (Walter Saabel) seinen Bruder zu kontaktieren, den er seit Ewigkeiten nicht mehr gesehen hat. Doch dann macht er dessen Sohn Philipp (Philipp Hochmair) in Hamburg ausfindig und beschließt, über diesen Weg an seinen Bruder heranzukommen. So steht er plötzlich und unverhofft vor seinem Neffen, der als gefeierter Schauspieler hin- und herjettet, um auf den großen deutschsprachigen Bühnen in verschiedenste Rollen zu schlüpfen. Die höchst unterschiedlichen Männer sind sich auf Anhieb sympathisch und so folgt Walter seinem viel beschäftigten Verwandten bald auch nach Wien, wo sein Neffe im Burgtheater auftritt. Philipps Nachbar Victor ist kurz vor dem Verzweifeln, da die österreichischen Behörden seine Frau nicht mehr aus Moldawien einreisen lassen und er nun alleine für seine beiden kleinen Kinder sorgen muss. Fortan passt Lebenskünstler Walter nicht nur auf die Kinder auf, sondern tüftelt auch gleich an einem Plan, um Victor zu helfen.
Die Regisseure Tizza Covi und Rainer Frimmel wagen sich in „Der Glanz des Tages“ aus ihrem Komfortbereich – der Darstellung des Artistenlebens – heraus und lassen den Außenseiter Walter auf den erfolgsverwöhnten Schauspieler Philipp treffen. Das Milieu des Wanderzirkus ist nur noch in Walters Erzählungen präsent, während Philipps Leben im Bildungsbürgertum und der gesellschaftlichen Mitte stattfindet. Kein Wunder also, dass in dieser Konstellation unterschiedliche Wertevorstellungen und Ansichten aufeinander prallen.
Doch in den durchaus auch humorvollen Diskussionen kommen auch die Gemeinsamkeiten zur Geltung. So sind sich Walter und Philipp darüber einig, dass sie bei einem Bürojob, so wie ihn Walters Bruder jahrzehntelang ausübte, eingehen würden. Ihnen ist Unabhängigkeit und Selbstbestimmung wichtiger, nicht zuletzt aber der Auftritt, der Applaus des Publikums. Doch wie dieser Erfolg, dieser Glanz des Tages aussieht, definieren beide Künstler ganz unterschiedlich: Während Philipp pures Glück empfindet, wenn er in einer Rolle völlig aufgeht und ihm das Publikum frenetisch umjubelt, sieht Walter es auch als Höhepunkt an, einen großen Fisch an der Angel zappeln zu sehen.
Es bleibt offen, wie sehr die beiden Hauptdarsteller wirklich eine Rolle spielen oder einfach sich selbst verkörpern. Allein die verwandtschaftliche Beziehung gab das Regieduo seinen Hauptdarstellern vor, doch Verhältnis und Umgang der Beiden entstand weitestgehend beim freien improvisatorischen Spiel. So geht die fiktionale Verwandtschaftsbeziehung fließend in die realen Lebenswirklichkeiten der beiden Darsteller über.
Der fahrende Artist ohne festen Wohnsitz und ohne geregeltes Einkommen lebt die ultimative Freiheit, muss dafür aber ewige Unsicherheit und permanente Geldsorgen in Kauf nehmen. Walter ist eine freundliche, aber auch etwas aufdringliche Persönlichkeit, die von Walter Saabel („La Pivellina“), der sich für das Regiegespann bereits zum dritten Mal selbst verkörpert, mit immenser Natürlichkeit gegeben wird und höchst authentisch wirkt. Auch Philipp Hochmair („Winterreise“) spielt den von Termin zu Termin hetzenden, viel beschäftigten Schauspieler mit großem Elan. Geradezu arbeitssüchtig wirkt diese Figur, die ständig neue Rollen annimmt, so dass der Privatmann Philipp weitestgehend hinter dem gefeierten Darsteller am Burg- und Thalia-Theater verschwindet. Neben Woyzeck, Faust und anderen Bühnenfiguren wird der reale Philipp selbst fast schon zur Rolle, die genauso abgestreift wird, wie all die fiktiven Personen, in die er auf den Bühnen schlüpft.
Fazit: Ein fahrender Artist und ein Schauspieler treffen im semidokumentarischen Film „Der Glanz des Tages“ von Tizza Covi und Rainer Frimmel aufeinander und diskutieren mal relaxt, mal angespannt über den Drang nach Freiheit und den Genuss des Applauses.