Action-Kino made in Hongkong ist heißer Stoff – das gilt auch über zwei Jahrzehnte nach stilprägenden John-Woo-Klassikern wie „The Killer" oder „Hard Boiled" noch. Wer ein Faible für dynamische Martial-Arts-Gefechte oder donnernde Gun-Fights hat, wird aus dem unermüdlich weiterproduzierenden Hongkong mit schöner Regelmäßigkeit versorgt. Leisere und damit schwerer vermarktbare Genre-Stoffe hingegen sprechen sich im Westen sehr viel langsamer herum; bestenfalls schaffen sie es zum Geheimtipp. Dieses Schicksal könnte auch Roy Chows („Murderer") stillem Thriller-Drama „Nightfall" beschert sein, denn abgesehen vom wilden Auftakt ist der Film für Hongkong-Verhältnisse streckenweise doch arg betulich inszeniert. Dafür aber entfacht Chow mit seinem altmodisch erzählten „Nightfall" ein lichterloh brennendes Feuer zwischen seinen zwei tollen Hauptdarstellern, die auch in den ruhigen Passagen die Spannung halten.
Gleich nach seiner Einlieferung in den Knast ist der vermeintliche Vergewaltiger Wong Yuen-yeung (Nick Cheung) heftigsten Anfeindungen ausgesetzt, die sich schnell zur brutalen Konfrontation zuspitzen. Wong überlebt – wenngleich mit durchschnittener Kehle. Monate und Jahre ziehen ins Land, während der stumme Häftling trainiert und seinen Körper zur Waffe formt. Als er endlich wieder auf freien Fuß kommt, beginnt der Sonderling, die Pianistin Zoe Tsui (Janice Man) zu stalken. Kommissar Lam (Simon Yam) nimmt den Ex-Häftling genauer unter die Lupe – insbesondere nach dem Tod von Zoe Tsuis Vater, dem Opernstar Hand (Michael Wong). Doch mit Fortlauf der Ermittlungen befördert Lam immer mehr dunkle Geheimnisse aus der Vergangenheit von Sänger Hand, einem brutalen Despoten, der seine Tochter einsperrte und misshandelte, ans Licht.
Wenn Wong gleich zu Begin in einer intensiven Szene vier Schergen niederknüppelt und jeder Schlag mit dumpf-bassigen Soundeffekten spürbar gemacht wird, erinnert „Nightfall" noch an Prügel-Opern à la „Dog Bite Dog" oder „Flash Point" – und ein wenig auch an David Cronenbergs Sauna-Kloppe in „Tödliche Versprechen": In den dichten, von schwülem Sepia-Licht aufgeladenen Dampfschwaden einer Knastdusche steigt ein verschwitzter Kampf auf Leben und Tod. Statt auf düster-realistische Muskelspiele zu setzen, bombardiert Chow sein Publikum dann aber überraschend mit orgiastischer Zeitlupengewalt - als hätte Zack Snyder („300", „Sucker Punch") für diese Sequenz einen Gastauftritt hinter der Kamera absolviert. Wer Gefallen an dieser stilistischen Überhöhung findet und „Nightfall" mit der entsprechenden Erwartungshaltung weiterverfolgt, wird jedoch ernüchtert in die Röhre schauen.
Nach dem ruppigen Auftakt tritt Chow hart auf die Bremse – und dabei bleibt es. Trotz sauberer Choreographie sind die wenigen kleinen Actionszenen des weiteren Films nicht ansatzweise mehr so wuchtig und auch die schwachen CGI-Effekte sind alles andere als staunenswert. Macht aber nichts. Denn die eigentlichen Qualitäten von „Nightfall" liegen woanders. Nach der anfänglichen Krawall-Finte entfaltet Chow einen bedächtig erzählten Kriminalfilm mit Drama-Elementen, vielen Rückblenden und zwei ausgesprochen starken Hauptdarstellern, die dem etwas konventionellen Stoff die nötige Dringlichkeit verleihen.
Insbesondere körperlich hochpräsent ist Nick Cheung, bekannt aus Johnnie Tos „Election"-Filmen, als von Dämonen, Schuld und Zweifeln geplagter Ex-Häftling Wong. Ein Blick in sein verbissenes Antlitz reicht, um zu erahnen, dass der Mann vor Aggression brodelt. Für die feineren Pinselstriche ist Simon Yam („Ip Man", „Vengeance") als Kommissar Lam zuständig. In seinen vier Jahrzehnten Kamera-Erfahrung hat sich der Schauspielveteran eine Professionalität, Präsenz und Würde erarbeitet, die am ehesten mit der magnetischen Aura eines Liam Neeson vergleichbar ist: Bereits eine hochgezogene Augenbraue ist bei Yam ein kleines Schauspiel-Event.
Die von Cheung und Yam zelebrierte Feindschaft zwischen Ex-Häftling und Kommissar ist das Herz des Films, ihr gilt nahezu Chows ganze Aufmerksamkeit. Janice Man („Punished") als Zoe und Michael Wong („City Hunter") als ermordetes Charakterschwein spielen klar die zweite Geige. Damit verkommt zwischenzeitlich auch der Kriminalfall zur Nebensache und dementsprechend unspektakulär wird auch dessen absehbare Auflösung abgehandelt. Sehenswert ist das intensive Duell aber trotzdem und auch ohne die schillernde Exzentrik sowie die rohe Energie, die die stilprägenden Hongkong-Regisseure vorgegeben haben.
Fazit: „Nightfall" ist ein sehr zurückhaltend inszenierter Hongkong-Krimi ohne die ganz großen Überraschungen, der von zwei blendend aufgelegten Stars aufgewertet wird.