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    Sound Of Heimat - Deutschland singt
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Sound Of Heimat - Deutschland singt
    Von Andreas Günther

    Jung, akademisch gebildet, politisch wahrscheinlich eher linksliberal bis alternativ und immer mit großer Lust an augenzwinkernder Provokation: So präsentieren sich in „Sound of Heimat – Deutschland singt!" viele der Künstler, die hier als Fürsprecher der Volksmusik auftreten. Eigentlich gilt diese Musikrichtung vielen als deutschtümelnd und spießig, als Inbegriff rückwärtsgewandter Heile-Welt-Idyllen und moralischen Biedersinns. Dass an den Vorurteilen etwas dran ist, wollen die „Sound of Heimat"-Regisseure Arne Birkenstock und Jan Tengeler nicht bestreiten. Jenseits des buchstäblich eintönigen Musikantenstadl-Mainstreams entdecken sie in ihrem stimmungsvollen und sympathischen Dokumentarfilm jedoch aufregende, peppige, humorvolle, historisch frappierende und gar avantgardistische Facetten der Volksmusik. Als eine Art Scout, den sie verblüffend unauffällig mit der Kamera begleiten, dient ihnen auf dieser Entdeckungsreise der neuseeländische Jazzsaxophonist Hayden Chisholm.

    Warum singen die Deutschen lieber fremde als eigene Lieder? Mit dieser Frage im Kopf bricht der rothaarige, hochgewachsene Enddreißiger Chisholm auf zu einer Bestandsaufnahme ‚urdeutscher' Klangkunst: Bei Loni Kuisle im bayerischen Allgäu lässt er sich im Jodeln unterweisen. Auf der „Antistadl"-Party in Bamberg steuert er virtuos ein Saxophon-Solo zur unbeschwerten Vermischung traditioneller Melodien mit Chanson, Ska, Klezmer oder Balkan Beats bei. Der Leipziger Gewandhauschor klärt ihn über die universellen, um Tod, Liebe und Abschied kreisenden Themen des deutschen Liedguts auf. Bei den drei „Wellküren" entdeckt er vom Kabarett beeinflusste Volksmusik. Die Sängerin Bobo erinnert daran, dass der Ausspruch „Die Gedanken sind frei" der Titel eines schlesischen Volkslieds ist. Der ehemalige Buchenwald-Häftling Wladyslwa Kożdoń erzählt vom zynischen Missbrauch deutscher Lieder durch die Nazis, der Akkordeonist Rudi Vodel aus dem Erzgebirge von der verbohrten DDR-Zensur. Das Finale schließlich ist dem plattdeutschen Folk der Gruppe Liederjan vorbehalten.

    Die Spontaneität von Chisholms Reiseverlauf und auch seiner Schilderungen aus dem Off ist natürlich teilweise inszeniert. Doch sie passt zur Persönlichkeit des Neuseeländers, der eben auf spontane Weise mit anderen Musikern in Kontakt kommt – da ist er ganz in seinem Element. Schnell findet er eine gemeinsame Ebene und dringt zu jenen Fragen vor, die sie alle faszinieren und bewegen. So zeigt sich immer wieder, dass Singen, Spielen und Tanzen Gemeinschaft stiftet und Freude bereitet, ja sogar als gelebte Geschichte erfahren werden kann. Mit offenen Ohren und unvoreingenommenem Blick, neugierig und sensibel, nimmt Chisholm das gespaltene Verhältnis der Deutschen zu ihren Heimatklängen in Augenschein – und kommentiert es mit seinen eigenen musikalischen Mitteln. Obwohl er ein begnadeter Jazzer und mit vielen exotischen Musiktraditionen vertraut ist, steht Chisholm dabei nicht als Alleskönner da. Wie er beim ersten Jodelversuch grotesk in der Tonhöhe verrutscht, sorgt für entspannte Heiterkeit. Die Kamera ist dabei immer mittendrin; distanzlos, aber unaufdringlich.

    Die Filmemacher richten ihren Blick sowohl auf die Gegenwart, als auch auf die Vergangenheit der Volksmusik: auf der einen Seite die originellen, gewagten und von Erfolg gekrönten Modernisierungsversuche durch meist junge Künstler, auf der anderen Seite der respektvolle Umgang mit den Traditionen durch die Älteren. Sich in die Gegenwart einzuklinken und in den neuen Bands mitzuspielen fällt Chisholm sichtlich leichter als die Beschäftigung mit der Vergangenheit, trotz seiner glaubwürdigen Empathie für die Nazi- und Stasi-Opfer. Das Statement des Liederjans Rainer Prüß, die Nazis hätten das Singen zu sehr für ihre Zwecke vereinnahmt, als dass die meisten Deutschen daran noch Vergnügen haben könnten, vermag ihn nicht so recht zufriedenzustellen. Ob die Deutschen ihre Lieder wirklich nicht recht mögen oder ob sie sie einfach zu wenig kennen, wird nicht geklärt. Aber der Reiz von „Sound of Heimat" liegt letztlich nicht darin, über deutsche Geschichte belehrt zu werden. Vielmehr lässt der Film über die Bandbreite von Heimatmusik staunen und weckt das Interesse daran, der eigenen Geschichte in alten und neuen Liedern zu begegnen.

    Fazit: „Sound of Heimat" ist ein erfrischend unbefangener Blick auf die vielfältigen Varianten der Volksmusik in Deutschland, bei dem gleichzeitig auch deren weitverzweigte Wurzeln sensibel erkundet werden. So macht Jodeln (wieder) Spaß.

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