Nachdem man aus dem „Negerkönig“ bei „Pippi Langstrumpf“ vor einigen Jahren einen „Südseekönig“ machte und das verpönte „N-Wort“ in manchen neuen amerikanischen Ausgaben von Mark Twains „Tom Sawyer“- und „Huckleberry Finn“-Geschichten durch den Begriff „Sklave“ ersetzt wurde, flammt die Diskussion um diskriminierende Wortwahl und Inhalte in Kinder- und Jugendbuchklassikern immer wieder auf. Auch die seit Generationen beliebten Bücher des im Februar 2013 verstorbenen Otfried Preußler kamen dabei auf den Prüfstand und kurz vor dem Tod des Autors gab der Verlag bekannt, dass die Faschingsszene in „Die kleine Hexe“, in der von „Negerlein“, „Türken“, „Eskimofrauen“ und einem „Hottentottenhäuptling“ die Rede ist, „modernisiert“ werde. Nun sind bei anderen Werken Preußlers wie „Der Räuber Hotzenplotz“ und „Das kleine Gespenst“ (noch) keine Änderungen geplant, aber auch sie werden durchaus kritisch wahrgenommen. Das kleine weiße Nachtgespenst, das auf keinen Fall schwarz sein will, ist nun erstmals der Held (oder die Heldin?) einer Realverfilmung - in der Bearbeitung von Alain Gsponer (Regie) und Martin Ritzenhoff (Drehbuch) bleibt der zeitlos-betuliche Charme der erstmals 1966 erschienenen Vorlage erhalten, wobei Problematisches behutsam abgeschwächt, aber nicht verfälschend getilgt wird. So ist „Das kleine Gespenst“ ein weitgehend unbeschwertes Vergnügen für die kleinen und die großen Fans des Buches.
Der Junge Karl (Jonas Holdenrieder) glaubt ganz fest an Gespenster und als er mit seiner Schulklasse bei einer Nachtwanderung Burg Eulenstein besucht, bekommt er tatsächlich eines zu Gesicht. Dumm ist nur, dass es keinen weiteren Zeugen für seine Begegnung mit dem kleinen Nachtgespenst (Stimme: Anna Thalbach) gibt. Es kommt noch schlimmer, denn Karl wird verdächtigt, die wertvolle Uhr des schwedischen Generals Torsten Torstenson (Uwe Ochsenknecht), der vor 375 Jahren das Städtchen angegriffen hat, gestohlen zu haben. Dabei war es der Uhrmacher Zifferle (Herbert Knaup), der das Stück unbemerkt zur Reparatur an sich genommen hat - das Gespenst, das unbedingt einmal die Sonne sehen will, hatte alle Uhren auf Eulenstein verstellt, um nicht mehr um Mitternacht, sondern tagsüber zur Geisterstunde zu erwachen. Aber erst als Zifferle die Rathausuhr für zwölf Stunden anhält, geht der Wunsch des kleinen Geists in Erfüllung. Kaum bekommt der weiße Wicht jedoch den ersten Sonnenstrahl ab, ist er mit einem Mal pechschwarz. Das nun selbst verschreckte Gespenst versetzt das Örtchen in Aufruhr und Panik und will bald nur noch zurück in sein nächtliches Spukidyll und zu seinem Freund, dem Uhu Schuhu (Stimme: Wolfgang Hess). Karl sucht unterdessen verzweifelt nach der verschwundenen Uhr.
Es ist durchaus möglich, an der Schwarz-Weiß-Malerei des Films Anstoß zu nehmen, denn erregte Zeitungsschlagzeilen vom „schwarzen Unbekannten“ und der regelrechte Freudentaumel am Ende, wenn das Gespenst wieder zu seiner blütenweißen Erscheinung zurückfindet, mögen beim erwachsenen Publikum zuweilen schon ungute Assoziationen aufkommen lassen. Der ironische Kurzauftritt eines schwarzen Bayern („I bin’s net“) jedoch wirft diese Gedanken gewissermaßen auf den Betrachter zurück – wer die märchenhafte Art, in der die Kontraste hier zugespitzt sind, für nicht zumutbar hält, der muss am Ende große Teile aller Erzählungen für Kinder von den Kleinen fernhalten. Schwieriger ist da schon die Darstellung von Karls Vater (Stephan Kampwirth) und der Lehrerin (Bettina Stucky), die dem Jungen recht schnell das Vertrauen entziehen und ihn für einen Dieb halten. Regisseur Gsponer („Lila, Lila“) ist bei seinem ersten Kinderfilm allerdings klug genug, solche Untiefen nicht zu deutlich hervorzukehren und setzt dem gemeinsam mit Darsteller Herbert Knaup („Lola rennt“, „Die Sieger“) ein verschmitztes Porträt des Uhrmachers entgegen, der gar nicht so weltfremd ist wie es zunächst scheint und sich vielmehr als besonders aufgeschlossen und verständnisvoll erweist. Und selbst der eitle Bürgermeister verkommt in Uwe Ochsenknechts (Doppelrolle!) uneitler Darstellung nicht etwa zur überkandidelten Karikatur, sondern ist eine tragikomische Inkarnation blinder Selbstbezogenheit.
Die meisten Leser des Buchs haben sich das kleines Gespenst eher als männlich und trotz des fortgeschrittenen Alters sehr jung vorgestellt (das ist jedenfalls das Ergebnis einer persönlichen und keinesfalls repräsentativen Umfrage), nun fordert Anna Thalbach, die schon bei „Krabat“, der ersten Otfried-Preußler-Verfilmung desselben Produzententeams dabei war, mit ihrer nur fast alters- und geschlechtslosen Stimme, diese Zuschreibungen fröhlich heraus. Gemeinsam mit den Effektkünstlern (das ausdrucksstark animierte Gespenst wurde per Computer nachträglich in die Realszenen einkopiert) macht sie die kleine Heldin zu einem gutmütigen Wesen mit Herz und Seele. Besonders in der Freundschaft des Gespensts zu dem distinguierten Uhu Schuhu (auch der sprechende Vogel wirkt erstaunlich lebensecht), der sich immer nur siezen lässt, hat der Film in seiner angenehm altmodischen Art etwas überaus Anrührendes. Ähnlich wie die historischen Straßen und Häuser der Drehorte im Harz sorgt die Beibehaltung der Sprache Preußlers (hier wird noch „dem kann ich nur beipflichten“ gesagt oder „Ach herrje“) für eine an keine konkrete historische Handlungszeit gebundene Stimmung, aber Regisseur Gsponer findet fast ganz ohne zeitgeistige Anbiederung eine gute Mischung aus Schwung (es gibt sogar eine Verfolgungsjagd), Skurrilität und Sentiment.
Fazit: „Das kleine Gespenst“ ist eine etwas altbackene, aber liebenswerte Verfilmung des Kinderbuchklassikers von Otfried Preußler, die besonders durch die gelungene Kombination von hübschen historischen Kulissen mit der hervorragenden Computeranimation des lebhaften Titelhelden beeindruckt.