Als der im Dschungel von Affen großgezogene Adelssprössling in David Yates‘ Neuinterpretation des Tarzan-Stoffs nach fast zehn Jahren aus England nach Afrika zurückkehrt, wird er Zeuge, wie die Einheimischen sein mysteriöses Einswerden mit Flora und Fauna sowie seine nicht greifbare, aber dennoch schützende Präsenz in blumigen Worten besingen: In „Legend Of Tarzan“ ist der Titel Programm. Wir bekommen hier eine sehr gegenwärtige Variante der 1912 von Edgar Rice Burroughs erfundenen Figur zu sehen – einen mythenumrankten, innerlich zerrissenen, aber trotzdem zupackenden Superhelden, der über Kontinente hinweg für das Richtige kämpft. Dieser von Alexander Skarsgard mit sanft-nachdrücklicher Noblesse verkörperte Tarzan ist von dem kernig-naiven großen Jungen aus den Johnny-Weissmüller-B-Movie-Klassikern genauso weit entfernt wie von dem grüblerischen Sinnsucher aus „Greystoke“ oder dem von Disney vereinnahmten Animationshelden. Und mit seinen perfekt computeranimierten Tieren, den entschieden heutigen Nebendarstellern Samuel L. Jackson, Christoph Waltz und Margot Robbie, dem auffälligen Bemühen um politische Korrektheit sowie einem leichten Hang zum Zuviel wird der ganze Film „Legend Of Tarzan“ zum typischen (3D-)Produkt unserer (Kino-)Zeit – ein bildgewaltiges und kurzweiliges Afrika-Abenteuer ist er aber auch.
1889: Der englische Earl John Clayton von Greystoke (Alexander Skarsgard) wird vom belgischen König Leopold II. zu einem Besuch in dessen Kolonie Kongo eingeladen. Der britische Premierminister (Jim Broadbent) schielt auf profitable Handelsbeziehungen und befürwortet diese Visite, das interessiert den hofierten Clayton aber nicht. Erst als ihn der US-Gesandte George Washington Williams (Samuel L. Jackson) bittet, die Gelegenheit zu nutzen, um mit ihm im Kongo nach Indizien für die Versklavung der Zivilbevölkerung zu suchen, wird er hellhörig. Schließlich überlegt es sich der einst selbst in unter der Obhut von Gorillas in dem afrikanischen Land aufgewachsene und unter dem Namen Tarzan berühmt gewordene Lord anders und nimmt neben Williams auch seine Frau Jane (Margot Robbie) mit auf den Trip. Nach der Ankunft in Afrika erweist sich die von Leopolds Handlanger Leon Rom (Christoph Waltz) eingefädelte Einladung aber schnell als Finte: Der skrupellose Captain hat dem einheimischen Häuptling Mbonga (Djimon Hounsou) als Gegenleistung für einen reichen Diamantenschatz die Auslieferung von Tarzan versprochen ...
„Legend Of Tarzan“ ist keine origin story, die wesentlichen Fragen nach Tarzans Herkunft und Vorgeschichte werden nur in geschickt eingewobenen kurzen Rückblenden beantwortet. Diese Struktur gibt dem Film dramatische Substanz: Die Vergangenheit erscheint ebenso als Zeit traumatischer Verletzungen wie als verlorenes Idyll. Der distinguierte Gentleman Greystoke passt ebenso wenig in den Dschungel wie der Naturmensch Tarzan in das regnerische England - daher liegt Alexander Skarsgard („True Blood“) immer eine leise Melancholie im Blick. Der Konflikt wird nicht wirklich aufgelöst, denn der muskelgestählte Protagonist muss sich immer stärker in Actionszenen bewähren und hat für existenzielle Krisen keine Zeit. Dafür macht er vom Oberhemd befreit eine so gute Figur, dass sich Regisseur Yates daran gar nicht satt sehen kann. Neben Skarsgards Torso (auf dem selbst die zahlreichen Narben attraktiv wirken) gibt es aber noch eine Menge weiterer Schauwerte.
Auch die natürliche Schönheit der afrikanischen Landschaften (gedreht wurden die Außenaufnahmen in Gabun) wird ausführlich zur Geltung gebracht. Besonders imposant sind die Luftaufnahmen des blitzartig von Liane zu Liane schwingenden Tarzan – hier kommen Tempo und Eleganz vorbildlich zusammen. Und wenn sich Mensch oder Tier an anderer Stelle gleichsam aus einem nebelverhüllten Nichts manifestieren, ergibt das ebenfalls denkwürdige Bilder. Mit der Erfahrung von vier „Harry Potter“-Filmen ist die überzeugende Integration von Computereffekten ebenfalls kein Problem für den Regisseur. Ob Gorillas oder Löwen, ob Elefanten oder eine riesige Gnu-Herde - die allesamt aus dem Rechner stammenden Tiere wirken ähnlich realistisch wie neulich in Jon Favreaus „The Jungle Book“. Wenn die Gnus allerdings im Showdown eine ganze Festung niedertrampeln, dann überrennen sie auch ein wenig das eigentliche Drama und eine spektakulär beginnende Zugüberfallsequenz leidet im Detail ebenfalls unter auffälligen Schwächen.
Nachdem Jane in die Hände des ruchlosen Rom gerät, verwandelt sich „Legend Of Tarzan“ zunehmend in eine atemlose Hatz zu Wasser, zu Lande und in der Luft. Der Gorillazögling jagt seiner geliebten Frau hinterher, im Schlepptau hat er Williams, der mit dem Tempo nicht Schritt halten kann und sich auch schon mal in der Liane vergreift. Samuel L. Jackson („The Hateful 8“, „The Avengers“) nimmt das alles mit gewohnter ironischer Coolness und erinnert uns in seiner Rolle des aufgeklärten Amerikaners mit saftigen Worten an die Verbrechen des belgischen Königs Leopold II. - selbst die Reue für die miese Behandlung der Indianer im eigenen Land darf dabei nicht fehlen. Die Drehbuchautoren signalisieren ein wenig aufdringlich Problembewusstsein und versuchen vor allem, das fragwürdige Afrika-Bild der meisten bisherigen Tarzan-Storys ein wenig geradezurücken. Das schlechte Gewissen wird hier gleichsam zum erzählerischen Motor.
Der historisch verbürgte Oberschurke Leopold bekommt also ordentlich sein Fett weg, auch ohne persönlich in Erscheinung zu treten. Dafür hat er einen dämonischen Vertreter in der Fiktion: den halb erfundenen Schergen Leon Rom, der von Christoph Waltz - als wollte er Hans Landa mit Blofeld multiplizieren - mit grundsätzlicher, absolut unverhohlener Boshaftigkeit und Gier versehen wird. Ein unchristlicher Christ, dem Jane ins Gesicht spuckt. Ein Sadist mit Rosenkranz, der keine Grenze kennt, bis Tarzan einen dicken Hals bekommt. Apropos Jane: Sie gerät hier zwar in Gefangenschaft, aber sie ist eindeutig kein wehrloses Fräulein, sondern eine forsche und moderne Frau, die von Margot Robbie („Focus“, „The Wolf Of Wall Street“) mit deutlichem Sendungs- und Selbstbewusstsein verkörpert wird. An ihrer Figur zeigt sich einmal mehr, wie Geschichte in diesem Film zur in die Gegenwart hineinstrahlenden Legende verwandelt wird.
Fazit: Die Legende von Tarzan als etwas uneinheitliche, aber abwechslungsreiche Superheldengeschichte.