Mein Konto
    Before Midnight
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,5
    hervorragend
    Before Midnight
    Von Carsten Baumgardt

    Fast anderthalb Stunden reden, reden und reden... In „Before Sunset" setzten Ethan Hawke und Julie Delpy 2004 das fort, was sie neun Jahre zuvor in „Before Sunrise" begonnen hatten. Am Ende dieses Sequels reichte ein Halbsatz von Hawkes Figur Jesse, um den kompletten Film aus den Angeln zu heben: ein Cliffhanger wie er im Buche steht, denn nach diesem offenen Schluss war es weitere neun lange Jahre der Phantasie der Zuschauer überlassen, sich vorzustellen, wie es mit den beiden gesprächigen Protagonisten weitergeht. Nun geben Hawke, Delpy und ihr Regisseur Richard Linklater mit dem Romantik-Drama „Before Midnight", das die Saga von Celine und Jesse vorerst vollendet, eine clevere und berührende Antwort auf die so lange offene Frage. Was wie ein beschwingt-wortgewandter Woody-Allen-Film beginnt, steigert sich in ein markerschütterndes Dialogdrama über die universellen Wahrheiten romantischer (Zweier-)Beziehungen: „Before Midnight" ist brillant-scharfzüngig, lustig, tieftraurig und brutal ehrlich.

    Jesse (Ethan Hawke) und Celine (Julie Delpy) sind mittlerweile Anfang 40 und leben als Paar in Paris, wo sie ihre gemeinsamen Zwillingsmädchen Nina (Charlotte Prior) und Ella (Jennifer Prior) großziehen. Als Jesse am Ende des Sommerurlaubs, den der Autor auf Einladung seines Kollegen Patrick (Walter Lassally) mit der Familie auf dem südlichen Peloponnes in Griechenland verbringt, seinen Sohn Henry (Seamus Davey-Fitzpatrick) in den Flieger zurück nach Chicago setzen muss, wo dessen Mutter auf ihn wartet, macht er sich schwere Vorwürfe, dass er die Kindheit des 13-Jährigen verpasst. Er schlägt Celine daher vor, nach Chicago zu ziehen, um näher bei seinem Sohn aus erster Ehe zu sein. Die wiederum will auf keinen Fall zurück in die USA, wo das Paar zwei Jahre in New York gelebt hat. Vielmehr plant Celine, ein lukratives Jobangebot in Paris anzunehmen. Immerhin haben die beiden Partner in dieser Situation das erste Mal seit Jahren wieder die Zeit, bei einem langen Spaziergang miteinander zu reden...

    Hat der Amerikaner Jesse denn nun damals in Paris („Before Sunset"), als er seine Bekanntschaft Celine nach vielen Jahren wiedertraf, die er weitere neun Jahre zuvor bei einer gemeinsamen Nacht in Wien („Before Sunrise") kennengelernt hat, den Flug zurück nach Hause zu Kind und Familie in den USA genommen? Die Antwort ist eindeutig: ja! Was in der langen Zeit bis zum Urlaub in Griechenland geschah, rekapituliert Linklater in „Before Midnight" sehr geschickt ganz nebenbei in Dialogen, in denen es eigentlich um die Gegenwart und die Zukunft des Paares geht. Waren die ersten beiden Filme beinahe reinrassige Zwei-Personen-Stücke, in denen nur Jesse und Celine über Gott, die Welt und sich selbst redeten, bricht Linklater dieses strenge Konzept im dritten Werk, dessen Handlung sich erneut nur über einen einzigen Tag erstreckt, leicht auf.

    Im Mittelteil gibt es eine launige Runde auf der Terrasse (u.a. mit der gefeierten „Attenberg"-Regisseurin Athina Rachel Tsangari), bei der Jesse und Celine mit befreundeten Paaren über die wichtigen Dinge des Lebens diskutieren. Sex und Partnerschaft, darüber wie sich alles im digitalen Zeitalter verändert und doch stets auch gleich bleibt, das sind die Themen. Diese charmante Sequenz sprüht nur so vor Wortwitz und erinnert an Woody Allen („Manhattan", „Midnight in Paris"), den Großmeister der Konversationskomödie, in Bestform. Noch besser sind allerdings jene Szenen, in denen Ethan Hawke („Training Day") und Julie Delpy („2 Tage Paris) den lockeren Plauderton des Tischgesprächs hinter sich lassen und nur für sich den stets wechselnden Aggregatzustand ihrer komplizierten Beziehung bestimmen. Hier wird es konkreter und damit persönlicher, es wird an alte und neue Wunden gerührt. Dabei verändern sich Stimmungen und Gefühle ohne Vorwarnung von einer Sekunde auf die andere.

    Die Hauptdarsteller Ethan Hawke und Julie Delpy haben wie schon bei „Before Sunset" gemeinsam mit Regisseur Richard Linklater selbst das Drehbuch geschrieben und es ist ihnen anzumerken, wie nahe ihnen ihre Figuren inzwischen sind. Die Unterscheidung zwischen den Darstellern und ihren Rollen fällt schwer, sie haben sich ebenso brillante wie lebensechte Dialoge auf den Leib geschrieben, ihr Zusammenspiel ist geprägt von absoluter Natürlichkeit und vollkommenem Vertrauen. Und für das Publikum sind Jesse und Celine inzwischen alte Bekannte, das Echo der Vorgängerfilme und das Gewicht der vergangenen Zeit geben ihnen besondere Tiefe. Sie sind ein ganz besonderes Kino-Traumpaar, gerade weil sie auch Probleme und Schwächen haben. So steht auf der einen Seite der etwas selbstverliebte Künstler, der zufrieden mit sich, der Welt und seiner Beziehung ist und auf der anderen Seite die ewig zweifelnde Weltverbesserin, die sich für die Familie aufopfert, aber zugleich so kompliziert ist, dass sie sich öfter selbst im Weg ist.

    Während die ersten beiden Filme durch die zeitliche Beschränkung auf einen Tag, an dessen Ende von Anfang an eine Abreise und damit die Trennung steht, eine ganz eigene schmerzhafte Spannung bezogen haben, wird das Konzept in „Before Midnight" noch erweitert. Auch an diesem letzten Ferientag steht die Abreise vor der Tür, doch hier geht es durch die veränderte Ausgangslage um viel mehr. Die Idee einer gemeinsamen Zukunft aus den ersten Filmen ist Realität geworden und nun gilt es, diese Wirklichkeit mit den veränderten Träumen und Plänen abzugleichen und über das weitere Zusammensein zu entscheiden. Die Dynamik dieses letzten Tages in Griechenland führt in die Abgründe einer zementiert scheinenden Beziehung, dahin, wo irgendwann jedes Wort schmerzt. Der letzte Akt von den insgesamt nur sieben Sequenzen findet im Hotelzimmer statt und wenn zwischen Celine und Jesse in atemberaubend wahrhaftigen Dialogen alles auf den Tisch kommt, geht das den Darstellern sichtlich ebenso an die Nieren wie dem Publikum. „Before Midnight" ist das tief berührende dritte und womöglich letzte Kapitel einer sich insgesamt über 18 Jahre erstreckenden Liebesgeschichte, in der sich wohl jeder wiederfinden kann.

    Fazit: Richard Linklaters brillante Romanze „Before Midnight" ist im Prinzip ganz einfach strukturiert, dabei aber zugleich so unvorhersehbar, wie es sich kaum ein anderer Regisseur leisten würde. Überragende Dialoge und das schlicht perfekte Hauptdarstellerpaar Ethan Hawke und Julie Delpy sorgen für den grandiosen (vorläufigen?) Abschluss einer der außergewöhnlichsten Filmreihen überhaupt.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top