Wenn Eltern sich wie Kinder verhalten, bleibt den Kindern nichts weiter übrig, als die Elternrolle zu übernehmen. Diese ungesunde Beziehungsumkehrung ist das Thema etlicher Sozialdramen und Tragikomödien wie zuletzt etwa „Einer wie Bruno". In „Für Elise" ist es jedoch keine geistige Behinderung, sondern Alkoholsucht, die eine Mutter daran hindert, für ihre Tochter Verantwortung zu übernehmen. Wolfgang Dinslage wird dem schwierigen Thema in seinem Familiendrama, mit dem er sein Langfilm- und Kinodebüt als Regisseur gibt, allerdings über weite Strecken kaum gerecht, dafür ist seine Inszenierung allzu gefällig.
Seit ihr Ehemann bei einem Verkehrsunfall ums Leben kam, versucht sich Betty (Christina Große) mit Affären und wilden Partys von ihrer Trauer abzulenken. Dabei bleibt ihre Tochter, die 15-jährige Elise (Jasna Fritzi Bauer), vollkommen auf der Strecke. Nicht nur, dass die Schülerin Lehrer und Verwandte in Bezug auf die häusliche Situation belügen muss, sie ist es auch, die regelmäßig die stark alkoholisierte Mutter umsorgt und tröstet. Alles soll sich ändern, als Betty Ludwig (Hendrik Duryn) kennenlernt, doch ihre Liebe zu dem bodenständigen Journalisten bleibt unerwidert. Stattdessen beginnt dieser, die vernachlässigte Elise zu umsorgen – eine Form der Zuneigung, die der unglückliche Teenager nur missverstehen kann.
Drehbuchautorin Ersébet Rácz erzählt in „Für Elise" eine knallharte Geschichte, die gerade durch ihren Realismus bewegt. Jedoch gelingt es Wolfgang Dinslage nicht, dafür eine angemessene Bildsprache zu finden. Gerade im Vergleich mit einem so konsequent ungeschönten Werk wie dem thematisch ähnlich gelagerten „Fish Tank" von Andrea Arnold, wirken etwa die Farben hier geradezu strahlend. Dinslage setzt damit nicht etwa, wie man meinen könnte, einen wirkungsvollen Kontrast zum düsteren Geschehen, vielmehr ist seine Inszenierung irritierend glatt. So wird das Gezeigte letztlich regelrecht verharmlost, was auch die emotionale Wirkung des Films beeinträchtigt. Daran kann auch die klassische Musik nichts ändern, die sich nicht nur als Motiv durch die Handlung zieht (schon der Titel verweist ja auf Beethovens gleichnamiges Klavierstück), sondern auch den Soundtrack dominiert.
Es sind die Darsteller, die das Interesse an „Für Elise" halbwegs wachhalten. Nachwuchstalent Jasna Fritzi Bauer („Einen Tick anders", „Barbara") überzeugt in der Rolle der überforderten 15-Jährigen auf ganzer Linie und bringt Elises komplexen Gemütszustand, ein Gemenge aus Wut, Schmerz und Sehnsucht, überaus eindrucksvoll zum Ausdruck. Auch Hendrik Duryns Darstellung des gebrochenen Familienvaters ist gelungen, so dass die außergewöhnliche Beziehung zwischen Ludwig und Elise glaubwürdig auf die Leinwand gebracht wird. Doch auch hier ist Dinslage zu vorsichtig und schreckt vor der letzten Konsequenz zurück: Der potentielle Tabubruch bleibt in einer entschärften Lolita-Geschichte stecken. Kaum mehr als ein Stereotyp bleibt indes die Alkoholiker-Mutter Betty. Das liegt aber weniger am Spiel von Christina Große („Glück", „Die Friseuse") als an der eindimensionalen Anlage ihrer Figur.
Fazit: Wolfgang Dinslage kocht in „Für Elise" eine harte Geschichte mit seiner Inszenierung weich, so bleibt der Film weit hinter dem Potential des brisanten Themas und der hervorragenden Darsteller zurück.