„Wer mit Ungeheuern kämpft, mag zusehn, dass er nicht dabei zum Ungeheuer wird. Und wenn du lange in einen Abgrund blickst, blickt der Abgrund auch in dich hinein.“
Wenn Xavier Gens seinem neuen Film „Cold Skin - Insel der Kreaturen“ dieses Zitat von Friedrich Nietzsche voranstellt, dann tätigt er damit ein Versprechen, das er anschließend mehr als erfüllt – denn prägnanter als mit dieser wahren Erkenntnis lässt sich sein Kreaturen-Abenteuer-Horrorfilm kaum auf den Punkt bringen: Während in Europa gerade der Erste Weltkrieg losbricht und die ganze Welt im Chaos unterzugehen droht, versinken auch die beiden Protagonisten auf ihrer einsamen Insel zunehmend in einem Sumpf aus Eifersucht, Misstrauen, Hass und Mordlust. Zwei Männer in einem sisyphosartigen Kampf gegen einen nicht enden wollenden Ansturm fremdartiger Kreaturen, bei dem die Grenze zwischen Mensch und Monster schon zu Beginn nicht klar definiert ist, dann aber trotzdem noch immer weiter verschwimmt. Der „Hitman“-Regisseur findet für diesen gewaltsamen Kampf der Menschen gegen die Natur immer wieder starke Bilder, trotzdem fehlt es der Fantasy-Parabel mit zunehmender Laufzeit auch ein wenig an Abwechslung, wenn die zwar kraftvolle, aber eben auch schnell durchschaute zentrale Metapher ohne große Überraschungen auserzählt wird.
1914 soll ein junger Mann (David Oakes), dessen Name nie erwähnt wird, für ein Jahr den zuständigen Wetterbeobachter auf einer winzigen Insel mitten im Atlantik ablösen. Der einzige andere Mensch auf dem felsigen Eiland ist Gruner (Ray Stevenson), ein verschrobener Einsiedler, der sich im örtlichen Leuchtturm verschanzt und diesen zu einer einzigen Verteidigungsanlage umfunktioniert hat. Schon in seiner ersten Nacht wird der Neuankömmling in seiner Hütte von einer Horde amphibienartiger Kreaturen attackiert, nur gerade so kommt er mit dem Leben davon. In der nächsten Nacht dasselbe Spiel – nur wird diesmal die Hütte des Mannes zerstört, als sich dieser mit Feuer gegen die anstürmenden Wasserwesen zu wehren versucht. Gruner erklärt sich nach einigem Widerstreben bereit, den Schutzlosen im Austausch gegen Tabak, Kaffee und Munition bei sich im Leuchtturm wohnen zu lassen, wobei der neue Untermieter nicht schlecht staunt, als er Gruners Mitbewohnerin Aneris (Aura Garrido) kennenlernt: Offenbar hält sich der grobschlächtige Überlebenskünstler eine der Fischfrauen als Haustier und Sexsklavin. Nacht für Nacht müssen sich die so unterschiedlichen Männer zukünftig zusammenreißen, um den nicht nachlassenden Ansturm der spitzzahnigen Kreaturen wieder und wieder zurückzuschlagen…
Das Herzstück von „Cold Skin“ ist die Beziehung zwischen dem noch unbescholtenen Neuankömmling und dem längst in barbarische Abgründe gestürzten Gruner – zwei verlorene Seelen, die der kriegstreibenden Gesellschaft in Europa entkommen wollten, nur um hier am Ende der Welt in ihren eigenen grausamen Krieg verwickelt zu werden. Die Darstellung des enthemmten Eremiten durch „Rome“-Hüne Ray Stevenson ist von einer intensiven Körperlichkeit geprägt, nur ist seine Entwicklung leider schon früh abgeschlossen – in der zweiten Hälfte werden zwar einige Risse im harten Panzer des kaltblütigen Monsterschlächters zumindest angedeutet, aber kaum einmal weiter verfolgt. Stattdessen folgt der Plot der Struktur solcher Belagerungsklassiker wie John Carpenters „Anschlag bei Nacht“, wobei der betont literarische Off-Kommentar, das in seiner Schmutzigkeit durchaus erlesene Produktionsdesign sowie die stimmungsvoll-unterkühlten Bilder von Kameramann Daniel Aranyó, der das wunderschöne Lanzarote aussehen lässt wie ein karges, höllisches Niemandsland, den Zuschauer immer wieder daran erinnern, dass es sich hier eben nicht nur um ein schnödes B-Movie, sondern um eine Romanverfilmung mit durchaus hehren Ambitionen handelt.
Die titelgebende kalte Haut bezieht sich unter anderem auch auf Aneris (das spanische Wort sirena = Sirene rückwärts geschrieben), unter deren glitschigem Äußeren sich das Model Aura Garridis verbirgt. Das beeindruckende Design der Kreatur stammt von Arturo Balseiro, der auch schon an den Monstern in Guillermo del Toros „Pans Labyrinth“ und Stuart Gordons Lovecraft-Verfilmung „Dagon“ mitgearbeitet hat. Trotz der sehenswerten Effektarbeit überzeugt die Figur aber nicht vollends – sie verfolgt bis auf wenige Ausnahmen im Schlussdrittel keine sichtbare eigene Agenda, sondern spielt eine rein plottreibende Rolle. Sie wird vor allem über ihr Verhältnis zu den beiden Männern definiert, wobei der (sexuelle) Missbrauch zu oft wie eine bloße Genretrope wirkt, mit der nichts weiter angefangen wird, als die Eifersucht zwischen den Leuchtturm-Streithähnen weiter anzufachen. Ihre Figur weiter auszubauen, wäre auch eine gute Möglichkeit gewesen, den erwartbaren Fortgang der Geschichte an der einen oder anderen Stelle aufzubrechen und das mehr als 120 Jahre alte Eingangszitat Nietzsches um eine neue Perspektive zu erweitern.
Fazit: „Cold Skin – Insel der Kreaturen“ ist sowohl für Monsterfilm-Fans als auch für Anhänger philosophisch-archaischer Geschichten wie „Moby Dick“ empfehlenswert – selbst wenn der letzte Kick fehlt und sich Xavier Gens damit begnügt, seine zentrale Metapher „nur“ konsequent durchzuziehen.
Wir haben „Cold Skin“ auf den Fantasy Filmfest White Nights 2018 gesehen.