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    König von Deutschland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    König von Deutschland
    Von Björn Becher

    Das alles und noch viel mehr würd‘ ich machen, wenn ich König von Deutschland wär‘…“: So träumte Rio Reiser einst davon, 200 Schlösser zu haben, Ronald Reagan in die Waden zu beißen und das Showmaster-Ehepaar Paola und Kurt Felix zu zwingen, 48 Stunden lang die eigene Sendung „Verstehen Sie Spaß?“ zu schauen. Debütregisseur David Dietl hatte den Songtext von Reisers 1986er Hit beim Schreiben des Drehbuchs zu seinem Abschlussfilm an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (dffb) ganz sicher im Hinterkopf, schließlich hat er seine Satire ebenfalls „König von Deutschland“ genannt. Doch als Protagonisten hat er keinen Freigeist und Individualisten wie den einstigen Ton-Steine-Scherben-Frontmann Reiser gewählt, sondern dessen genaues Gegenteil: den komplett durchschnittlichen Normalbürger Thomas Müller. Was passiert, wenn man dieser Musterfigur die „königliche“ Macht verleiht, von der Reiser nur träumt, das ist ein fast schon zu mustergültiger Satire-Stoff. Und während Dietl den von „Dittsche“ Olli Dittrich verkörperten Müller zum perfekten Inbegriff von Durchschnittlichkeit und Mittelmaß stilisiert, gerät sein Film über Meinungsmache, Anpassungsdruck und Medienmacht selbst höchst mittelmäßig – was wiederum fast schon konsequent ist.

    Thomas Müller (Olli Dittrich) ist so durchschnittlich wie man nur sein kann. Die Lieblingsfarbe, das Lieblingsauto oder das Lieblingsreiseziel – seine Vorlieben decken sich stets mit denen der Mehrheit, keinen Namen gibt es in Deutschland häufiger als seinen und auch sonst ist Müller die Verkörperung des Durchschnittsbürgers. Mit seiner Frau Sabine (Veronica Ferres) läuft sexuell schon lange nichts mehr und Sohn Alexander (Jonas Nay) rebelliert mit Punkmusik. Nur seine erotischen Träume von der Kollegin Ute (Katrin Bauerfeind) verschaffen dem Texter für Navigationssysteme etwas Abwechslung. Doch dann verliert Müller, der gerade ein Haus gekauft hat, im denkbar ungünstigsten Moment plötzlich seinen Job. Er ist verzweifelt und denkt über Selbstmord nach, als ihm der charismatische Fremde Stefan Schmidt (Wanja Mues) wie aus dem Nichts eine lukrative neue Stelle anbietet. Was er dabei genau zu tun hat, weiß Thomas Müller jedoch auch nach einigen Tagen noch nicht. Richtig arbeiten tut er zumindest nicht, stattdessen geht Stefan ständig mit ihm einkaufen, fragt ihn nach seiner Meinung zu allen möglichen Produkten und zu politischen Themen. Erst als er im Supermarkt neue Waren nach seinen Empfehlungen entdeckt und der aufstrebende Wendehals-Politiker Kurt Knister (Stephan Grossmann) mit Polit-Plattitüden, die ihm äußerst bekannt vorkommen, Umfragebestwerte erreicht, dämmert Müller langsam, wozu sein neuer Freund Schmidt ihn benutzt.

    Informationen über das Konsum- und Wahlverhalten der Menschen sind heiß begehrt. Sie werden nicht nur heimlich gesammelt, sondern ganze Heerscharen von Meinungs- und Marktforschern rücken den Bürgern per Telefon, Straßenumfrage, Email oder Infopost auch ganz offen auf die Pelle. Die Antworten werden zu Statistiken und die haben weitreichende Folgen und ungeheuren Einfluss. Die Rolle und die Macht der Forscher und Institute im Kampf um Meinungsführerschaften und Marktanteile aufs Korn zu nehmen, ist daher auch ein dankbares Thema für einen Film. Regisseur David Dietl entscheidet sich für die volle satirische Breitseite und treibt die absurden Aspekte des Geschäfts auf die Spitze, indem er seinen Meinungsforschern die Arbeit unendlich erleichtert und ihnen den fleischgewordenen Durchschnittsbürger verschafft. Statt komplizierter statistischer Erhebungen anhand möglichst umfangreicher Stichproben brauchen sie nur noch den Herrn Müller zu fragen und kennen die Mehrheitsmeinung der Deutschen. Diese gnadenlose Zuspitzung funktioniert in den besten Momenten sehr gut, das Problem ist, dass Dietl es bei eher wenigen Einzelszenen belässt und das komisch-entlarvende Potenzial seiner Prämisse, die im Übrigen stark an die französische Komödie „Mister Average – Der Mann für alle Fälle“ von 2006 erinnert, zu großen Teilen ungenutzt bleibt.

    Dietl verzettelt sich zusehends mit seiner überfrachteten Handlung, in der vor allem im Mittelteil die Wendungen Schlag auf Schlag folgen. Für skurrile Ideen ist da nur wenig Platz und so beschränkt der Regisseur sich etwa bei Müllers Produktideen auf die Promotion eines Biers mit Drehverschluss. Zumindest im Ansatz verdeutlicht dieses „Drehbier“ wie verlockend und gleichzeitig fragwürdig es ist, den Durchschnitt zum Maßstab zu erheben und aus dem Normalen die Norm zu machen. Diese Mechanismen der Meinungs- und Geschmacksindustrie zu sezieren vernachlässigt Dietl aber über weite Strecken zugunsten eines langatmigen Jedermann-Dramas, bei dem er es mit der Durchschnittlichkeit übertreibt. Dietl zelebriert förmlich, wie mittelmäßig und typisch das Leben von Müller ist - und zwar bis ins allerkleinste Detail. Da gibt es dann zu allem Überfluss noch eine Spielshow namens „König von Deutschland“, in der die Kandidaten gewinnen, wenn sie auf Fragen nach Lieblingstier oder –farbe die Antwort des Durchschnittsdeutschen geben – und bei der Thomas Müller vor dem TV-Gerät natürlich immer richtig liegt.

    David Dietls Hang zur Überdeutlichkeit zeigt sich auch an anderer Stelle: Dass Polit-Wendehals Kurt Knister für die SÖLK-Partei antritt, die diesen Namen trägt, weil sie sozial-ökologisch-liberal-konservativ ist, ist eine amüsante Spitze zum gleichmacherischen Kampf der Parteien um möglichst breite Wählerschichten, die für sich alleine stehen kann. Dass es im Polit-Betrieb nur um Macht und nicht um Inhalte geht, wird dann aber noch anhand der Figur des diabolischen Hintermanns Wallenstein (Hanns Zischler) doppelt und dreifach unterstrichen. Der Strippenzieher wird immer wieder über eine riesige Videowand zugeschaltet, von der er - eingehüllt in Zigarrenrauch - Anweisungen gibt. Das hat einen Touch von „Dr. Mabuse“, aber aus der Figur und aus dem Motiv werden trotz ihrer eindrucksvollen Präsenz kaum satirische Funken geschlagen. Während er an anderer Stelle überhastet durch den Plot hetzt, trägt Dietl bei Elementen, die er besonders herausstellen will, zu dick auf. Auf jede gute Idee kommt ein schaler Gag und auf jede entlarvende Einzelszene ein Quantum Leerlauf (oder im Gegenteil: Hektik).

        

    Die Besetzung spielt tapfer gegen dramaturgische Schwächen an, holt aus oberflächlich angelegten Figuren häufig noch das Maximum raus und setzt einige Glanzlichter. Während Wanja Mues („Der Pianist“) einen charismatischen Bösewicht zum Besten gibt, deutet Grimme-Preisträger Jonas Nay (für „Homevideo“) in seinem ersten Kinofilm an, was in ihm steckt und bildet gemeinsam mit Jella Haase („Kriegerin“) ein freches Rebellen-Pärchen, von dem man gerne mehr gesehen hätte. Veronica Ferres („Rubinrot“) tut in der undankbaren Rolle der fremdgehenden und ihren Mann dominierenden Ehefrau, was sie kann, während es Olli Dittrich („Dittsche“) wunderbar gelingt, die Piefigkeit des Thomas Müller zu verkörpern, ohne den Mann ohne besondere Eigenschaften zur Karikatur verkommen zu lassen. In Dittrichs Darstellung bleibt stets die Menschlichkeit der Figur erhalten und so gewinnt sie schließlich auch glaubhaft an Format und an Selbstbewusstsein  - nur am Ende gibt es dann eine ärgerlicher Wendung: Wenn die fiesen Schergen um Stefan Schmidt dahinterkommen, dass Müller ihr System durchschaut hat und absichtlich falsche Antworten liefert, setzen sie ihn unter Drogen und lesen aus seinen Gehirnströmen die Durchschnittsmeinung ab. In Dietls Szenario ist Müller im Innern also weiter Durchschnitt und wird es wohl immer bleiben. Diese bitterböse und pessimistische Pointe steht dabei letztlich auch im Widerspruch zu Dittrichs Darstellung.

    Fazit: Debütregisseur David Dietl ist der Sohn von Helmut Dietl, der seit den Fernsehserien „Kir Royal“ und „Monaco Franze“ sowie den Kinofilmen „Schtonk!“ und „Rossini“ als ein Meister der Medien-Satire gilt. Bis zu diesem Status ist es für den Junior noch ein weiter Weg. Bei seinem im doppelten Sinne durchschnittlichen „König von Deutschland“ zeigt er verheißungsvolle Ansätze, aber auch große erzählerische Defizite.

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