Großartige Schauspieler, aber ein problematischer Protagonist!
Zweifelsohne gibt es Filme, die zeitlose Klassiker geworden sind, weil sie bahnbrechende Themen und schauspielerische Meisterleistungen bieten konnten, die auch heute noch überzeugen und bewegen. Unter diesen Klassiker-Status fällt auch „Einer flog über das Kuckucksnest“ von 1975 unter der Regie von Miloš Forman („Amadeus“ und „Hair“). Basierend auf dem gleichnamigen Roman von Ken Kesey wurde diese Verfilmung zu einem Erfolg, der bei den Oscars die „Big Five“ abräumte (bester Film, beste Regie, bestes adaptiertes Drehbuch, bester Hauptdarsteller und beste Hauptdarstellerin). Jack Nicholson wurde nach „Easy Rider“ endgültig zu einem der gefragtesten Schauspieler seiner Zeit und der Film etablierte sich zu einem Werk, das jeder gesehen haben muss. Nun ist der Film mittlerweile fast ein halbes Jahrhundert alt und ich konnte ihn endlich sehen. Tja und nachdem der Film zu Ende war und die Credits liefen, fragte ich mich: „Das wars?“
Keine Frage: Filme wie „Einer flog über das Kuckucksnest“, die als Klassiker gelten, erzeugen natürlich große Erwartungen, die oftmals nicht erfüllt werden können. Weiterhin ist mir absolut bewusst, dass ein Film von 1975 aus heutiger Sicht anders betrachtet wird als zur Zeit des Releases. Die 70er waren eine andere Zeit, eine andere Welt sozusagen. Trotzdem finde ich es wichtig zu schauen, ob ud wie ein Film sich bis heute gehalten hat. Es gibt viele Beispiele an großartigen Filmen, die auch heute noch eine kraftvolle und zeitlose Message haben. Andere hingegen (gerade viele Hollywood-Filme der 50er und 60er) wirken sehr altbacken und steif. Wie sieht es denn nun mit „Einer flog über das Kuckucksnest“ aus? Ganz klar gibt es viele großartige Aspekte an dem Film, die ich auch benennen kann. Andere Dinge hingegen funktionieren meiner Meinung nach nicht mehr ganz so gut, vor allem aus heutiger Sicht.
Die frühen 60er: Randle McMurphy ist ein Kleinganove, der vortäuscht an einer Geisteskrankheit zu leiden. Damit kann er dem Knast entgehen, stellt aber schnell fest, dass die Station, auf der er landet genauso wenig Spaß macht. Der strikte, ermüdende Alltag der Oberschwester Ratched bringt ihn und auch viele der Patienten zur Verzweiflung. Doch McMurphy hat keine Lust auf Regeln. Er versucht dauernd auszubrechen und mit seinen Kollegen eine schöne Zeit zu verbringen…
Vorweg: Ich muss leider auf ein paar kleine Spoiler in der Geschichte eingehen, werde aber keine großen Dinge verraten!
Der Film enthält viele spannende Themen, besonders auf einer abstrakten Ebene. Der Gegensatz von Chaos und Ordnung (McMurphy und Schwester Ratched) ist sehr zentral in der Geschichte. Wie viel braucht ein Mensch von beidem? Was passiert, wenn eine Seite ins Extrem rutscht? Der Film spielt immer wieder mit dem Konflikt. In meinen Augen jedoch ist dieser Konflikt nicht immer sehr grau dargestellt, sondern sehr schwarz-weiß. Das System der Station und der Oberschwester wird ganz klar als Antagonist der Geschichte und der Patienten dargestellt. Es gibt ein paar Momente, in denen man den Eindruck bekommt, dass die Einrichtung und das Personal wirklich daran interessiert ist den Patienten zu helfen, aber die sind mir leider zu rar. McMurphy wird stattdessen als cooler Held inszeniert, der weiß, wie das Leben läuft und für viele auf der Station zu einer Leitfigur wird. Schön und gut, eine Story, die mittlerweile bekannt ist und auch damals sicherlich nicht ganz neu war. An vielen Stellen will der Film ganz klar, dass man mit seinem Protagonisten und dessen selbstlosen Einsatz (wie etwa beim imaginären Baseball-Spiel oder der Bootstour) mitfiebert. Und ja, ab und zu hatte ich auch das Gefühl, dass McMurphy seinen Kollegen wirklich gut tut. Seine Beziehungen zu dem schüchternen Billy oder dem schweigsamen „Häuptling“ sind alles andere als schlecht. Doch was hat mich gestört? Ich glaube mein Hauptproblem ist, dass ich McMurphy nie wirklich empathisch fand. Seine guten Absichten werden überschattet von teils sehr übergriffigen Handlungen. Vor allem die letzte halbe Stunde fiel mir da negativ auf. Ja, er will eine Party schmeißen und einige Szenen sind ganz humorvoll und schön anzusehen, doch dann ist da die Szene, in der er Billy zum Liebesakt mit einer Frau drängt. Weiterhin stört er immer wieder die (sicherlich benötigte) Ruhe vieler Patienten auf der Station und stellt generell in Frage, ob die Therapie, die die Menschen dort in Anspruch nehmen, sinnvoll sei. Für damalige Verhältnisse (60er) nicht unberechtigt, immerhin ist die Station, die wir dort sehen alles andere als erfreulich anzusehen. Der Film übertreibt sicherlich auch viel in seiner Darstellung von psychisch kranken Menschen, aber das kann ich noch akzeptieren. Dennoch, der Film und sein Protagonist lenken immer wieder den Fokus auf den Gedanken, dass eine Institution, die sich um psychisch kranke Menschen kümmert, eher schädigend ist als hilfreich, jedenfalls kam das bei mir an. Und das halte ich für sehr schwierig.
Ich muss weiter auf der Hauptfigur McMurphy rumreiten, denn ich finde seinen Charakter fragwürdig und seltsam. Er redet ständig davon abzuhauen und als er die Möglichkeit hat und wortwörtlich vor einem offenen Fenster zur Freiheit steht, ergreift er sie nicht, sondern pennt aufgrund von zu viel Alkohol ein. Diese Entscheidung war sicherlich nicht grundlos im Film, aber ich komme nicht herum mich zu fragen, warum McMurphy so doof war in diesem Moment. War es die Freundschaft zu seinen Kollegen? Wohl eher nicht, denn er hatte sich ja bereits von allen verabschiedet, auch von Billy. Zudem ist McMurphy ein Krimineller, der Leute ohne große Vorwarnung zusammenschlägt, angreift und auch nicht davor zurückschreckt mit 15-jährigen Mädchen ins Bett zu gehen. Wie soll ich da mit ihm sympathisieren?
Das ist natürlich sehr schade, weil viel davon abhängt, dass mit dem Protagonistin mitjubeln und mitleiden kann. Dennoch möchte ich auch ganz klar die starken Momente hervorheben und die haben meistens mit den restlichen Patienten zu tun. Die Gruppendynamik ist sehr schön unter allen Beteiligten und auch wenn ich gerne mehr über jeden einzelnen erfahren hätte (gerade Billy!), so macht es doch Spaß zuzusehen, wie diese Figuren sich mehr oder weniger ergänzen oder aber auch gegenseitig provozieren.
Was ich dem Film natürlich nicht absprechen kann, ist die schauspielerische Leistung aller Beteiligten. Nicholson ist richtig stark und eine unberechenbare Kraft im Film, auch wenn ich seine Figur nicht immer mag. Louise Fletcher als Oberschwester Ratched ist ebenfalls toll und obwohl sie relativ wenig sagt und agiert, so hat sie doch eine beeindruckende Präsenz. Dann haben wir einen großen Cast mit vielen bekannten (und zur damaligen Zeit noch jungen) Gesichtern. Da wäre Christopher Lloyd, Brad Dourif, Will Sampson und sogar Danny DeVito, denn ich erst später im Film erkannt habe. Alle sind sie charmant und wunderbar und auch Sydney Lassick als Charlie ist überaus authentisch.
Visuell beeindruckt der Film durch eine echte Station auf der gedreht wurde. Zudem sind echte Angestellte und Patienten als Statisten zu sehen, was dem Film noch mal eine Portion mehr Echtheit verpasst. Hinzu kommt ein dezenter, aber guter Score von Jack Nitzsche.
Fazit: Ich wollte diesen Film wirklich lieben, so wie viele andere auch. Doch obwohl „Einer flog über das Kuckucksnest“ viele großartige Aspekte aufweist, bleibt irgendwie ein fader Beigeschmack für mich, was nicht zuletzt an einer problematischen Hauptfigur liegt. Auch die Message des Films kam für mich nicht so stark und berührend rüber, wie das Film sicherlich gewollt hat. Vielleicht kann mich der Film irgendwann beim zweiten Schauen mehr überzeugen, so aber bin ich doch etwas enttäuscht von diesem Klassiker...