Wenn es Angehörige einer Berufsgruppe gibt, denen man Marotten nicht nur gerne verzeiht, sondern bei denen man sie geradezu erwartet, dann sind es die Künstler. Denkt man dann noch an die gern zitierte Binsenweisheit „Genie und Wahnsinn liegen eng beieinander“, dann folgert zumindest der Stammtischphilosoph unweigerlich, dass alle genialen Künstler zugleich auch latent durchgedreht sind. Von van Gogh bis Hemingway hat die Geschichte genug Beispiele für diese These parat, doch warum so weit in die Vergangenheit blicken: Mit dem zweifelsohne brillanten Drummer Ginger Baker, den Jay Bulger in seinem Dokumentarfilm „Beware Of Mr. Baker“ porträtiert, gibt es ein Musterexemplar hier in der Gegenwart. Die Tatsache, dass dieser Mr. Baker dem Regisseur während der Dreharbeiten die Nase blutig geschlagen hat, gehört dabei fast noch zu den weniger bemerkenswerten Ereignissen in dieser ebenso aufschlussreichen, wie unterhaltsamen Chronik des Wahnsinns.
Ginger Baker: „Man hat es oder man hat es nicht.“ Jay Bulger: „Was?“ Baker: „Timing!“ Er hat es jedenfalls und zwar mehr, als fast jeder andere. Deshalb muss er z.B. seine ebenso rasanten wie virtuosen Drum-Soli in Wirklichkeit gar nicht so schnell spielen, wie sie sich anhören. Er ist einfach fähig mit allen vier Extremitäten gleichzeitig einen anderen Takt zu spielen, der jeweils so versetzt ist, dass im Zusammenspiel ein infernalisches Stakkato entsteht. Heroin war ihm dabei nach eigener Aussage lange Zeit eine Hilfe, machte ihn die Droge doch so furchtlos, dass er ohne Nachzudenken genau das spielen konnte, was ihm gerade vorschwebte. Nimmt man schließlich noch seine feuerroten Haare hinzu – daher auch „Ginger“ – ergibt sich das Bild eines ebenso genialen wie unheimlichen Berserkers, der mit weit aufgerissenen Augen, irrem, drogengeschwängertem Blick und einer wilden, feuerroten Mähne wie ein Derwisch auf seine Trommeln eindrischt und dabei einen Sound kreiert, den sowohl Fans, als auch Musikerkollegen als reine Magie beschreiben.
Diese unwahrscheinliche Energie ist im Falle von Ginger Baker tatsächlich Segen und Fluch zugleich. Was ihn im Reich der Musik in unbeschreibliche Höhen katapultierte, sorgte im restlichen Leben und insbesondere in seinen zwischenmenschlichen Beziehungen für ständige Brüche: Vier Ehen und sechs zumeist nur wenige Jahre bestehende Bands belegen, dass es Baker niemals lange zusammen mit jemanden aushielt und wohl auch niemand lange mit Baker. Auch Ginger Baker und Jay Bulger bilden eine bizarre Art von Schicksalsgemeinschaft: Ein Interview mit Baker war für Ex-Model Bulger der Einstieg in den Musikjournalismus. Ein langes Gespräch bildet nun auch das Herzstück von Bulgers erster Regiearbeit „Beware of Mr. Baker“. Der Titel ist einem Schild am Eingang zu Bakers Anwesen in Südafrika entnommen. Und spätestens nachdem Baker dem Regie führenden Ex-Model die Nase blutig geschlagen hatte, muss Bulger aufgegangen sein, dass er keinen besseren Titel als diesen Warnhinweis finden wird. Dabei geht der an Musikvideos geschulte Debütant selbst erstaunlich virtuos vor, wenn es darum geht, dem chaotischen Baker-Kosmos eine Form zu geben. Ähnlich einem Musikvideo wechselt er im Rhythmus der Musik Bakers zwischen Interviewpassagen, Konzertmitschnitten, Archivmaterial und animierten Sequenzen.
Das Ganze vermittelt den Eindruck eines durch Bakers brachiale Energie verknüpften harmonischen Scherbenhaufens, der oft wie ein Tanz auf dem Vulkan wirkt. Zum schnellen Ende von Bakers Band „Cream“ - einer der Supergroups der 60er Jahre – bemerkt der damalige Manager passenderweise: Die Band sei wie ein einziges musikalisches Feuerwerk und ein Feuerwerk ist naturgemäß schnell wieder vorbei. Die Einmaligkeit von Bakers Energie, die ebenso schöpferisch, wie zerstörerisch wirken kann, zeigt sich dann auch darin, dass Jay Bulger nicht bis zum Schluss mit dem genialen Berserker mithalten kann: So virtuos „Beware Of Mr. Baker“ auch beginnt, mit der Zeit geht Regisseur Bulger die Luft aus. Zwar wirbelt Ginger Baker auf der Tonspur bis zum Ende wie wahnsinnig seine Drumsticks, doch die anfängliche Geschmeidigkeit und Originalität auf der Bildebene weicht immer mehr einer bloßen Abfolge von „Talking Heads“, die stellenweise fast an die typischen Interviews zum Film auf einer DVD wirkt.
Fazit: Jay Bulger gelingt mit seiner Dokumentation „Beware Of Mr. Baker“ ein über weite Strecken kurzweiliges Portrait des Ausnahmedrummers Ginger Baker, der Bands wie „Cream“ seinen ganz eigenen Stempel aufgedrückt hat. Nicht nur für eingeschworene Musikfans definitiv einen Blick wert.