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    Mixed Kebab
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Mixed Kebab
    Von Tim Slagman

    Die Aushängeschilder der belgischen Filmszene sind immer noch die Brüder Jean-Pierre und Luc Dardenne, die mit „Rosetta" und „Das Kind" bereits zwei Mal die Goldene Palme von Cannes gewonnen haben. Auf den ersten Blick ähnelt Guy Lee Thys Sozialdrama „Mixed Kebab" dem gleichermaßen intensiven und schlichten, stets der Wirklichkeit verpflichteten Kino der Dardennes, aber der Regisseur wählt dann doch einen eigenen Weg. Wie schon in „Kassablanka" aus dem Jahre 2002 erzählt Thys vom Schicksal muslimischer Immigranten in Antwerpen, einer Stadt, in der sich das Dilemma Belgiens deutlich ablesen lässt: Auf der einen Seite eine liberale, weltoffene Gesellschaft, auf der anderen Seite die extrem erfolgreiche und mittlerweile verbotene rechtsextreme Vereinigung „Vlaams Blok". In „Mixed Kebab" versucht Thys zwar etwas holzschnittartig, den Zusammenprall von konservativen und liberalen Elementen innerhalb der islamischen Gemeinschaft Belgiens aufzuzeigen. Aber immer dort, wo er vom Vorhersehbaren abweicht und seinen Figuren Raum zur Entfaltung gibt, ist dem Regisseur ein starker Film gelungen.

    Ibrahim Aydin (Cem Akkanat), genannt „Bram", ist Sohn einer türkischen Einwandererfamilie in Antwerpen – und schwul. Bram hat sich in Kevin (Simon Van Buyten) verliebt, der in seiner Stammkneipe arbeitet. Seine Eltern ahnen von alledem nichts, sie haben in der Türkei eine Ehe für ihren Sohn arrangiert. Als Bram in die Heimat reist, um seine zukünftige Frau Elif (Gamze Tazim) kennenzulernen, nimmt er kurzentschlossen Kevin mit. Doch in ihrem Hotel lauert Elifs heimlicher Geliebter und macht kompromittierende Fotos. In der Wahlheimat lässt sich Brams jüngerer Bruder Furkan (Lukas De Wolf) unterdessen von Islamisten anwerben...

    Unterschiedliche Kulturen prallen auf unterschiedlichen Ebenen aufeinander: Es gibt die westlich orientierten Nachkommen der ersten Einwanderer-Generation, deren Lebenswandel den Wertvorstellungen ihrer Eltern zuwiderläuft. Andererseits sind Brams Eltern weitaus weltoffener als der Prediger, der Furkan mit seinen religiösen Dogmen verführt. Bram wiederum muss in der Türkei auf Englisch radebrechen, weil er kaum noch Türkisch spricht. Gerade über die Vielfalt der Sprachen zeigt Thys, wie mühsam es für die Figuren ist, eine eigene Identität zu entwickeln: Da wird unter anderem Flämisch, Türkisch, Englisch und Französisch gesprochen, eine sprachliche Vielfalt, die der deutsche Verleih Pro-Fun Media glücklicherweise nur untertiteln wird, statt sie in einer einheitlichen deutschen Synchronisation einzuebnen.

    „Ich bin Ibrahim, Türke – Ich bin Bram, Belgier, schwul", sagt Ibrahim/Bram gleich zu Beginn und bringt damit die erzwungene Schizophrenie seiner Figur auf den Punkt. Er ist ein Wanderer zwischen den Ländern und Bräuchen: Er dealt mit Koks, schläft mit Männern, ist ein Suchender, erdrückt von den Erwartungen seines Umfelds. Seine Braut in spe wiederum erhofft sich von ihm Champagner, Shopping-Touren, ein besseres Leben weit weg von dem türkischen Kuhkaff, in dem sie aufwuchs: Sobald ihre Tante außer Sichtweite ist, legt sie das Kopftuch ab. Hier sind die Widersprüche und Konflikte allgegenwärtig, das am überzeugendsten wirkende Spannungsfeld des Films ist dabei das zwischen Bram und seinem Vater Mehmet (Ergun Simsek).

    Bram ist kein unkritischer Anhänger westlicher Werte und Mehmet ist eben kein verbohrter Familientyrann. Er ist konservativ, sicher – und doch einer, der Widerworte duldet. Und als der frisch bekehrte Furkan im langen Gebetsgewand durch die Tür marschiert, fragt sein Vater ihn unverhohlen: „Ist schon Karneval?" Doch gerade bei diesem Furkan hat Thys sich ein wenig zu viel vorgenommen. Die Wandlung vom zornigen Jugendlichen zum zornigen Gläubigen ist nur mit groben Strichen skizziert, die Furkan weit weniger glaubhaft wirken lassen als andere Figuren. Es scheint, als habe Thys um jeden Preis noch eine weitere Facette einbauen wollen, um zusätzliche Melodramatik und Spannung zu erzeugen, die der Film eigentlich gar nicht nötig hätte.

    Thys‘ Inszenierung ist insgesamt nicht gerade von Zurückhaltung gekennzeichnet und alles andere als in klassischem Sinne realistisch: Wehklagende Streicher, in kaltes Blau getauchte Krankenhausgänge und ein als außerweltlicher Mikrokosmos der Männerliebe inszenierter Hamam – der Regisseur lässt eine eigene Welt entstehen. Wie sanft die Kamera dabei schöne Männerkörper umstreift, das sieht man sonst nur im Queer Cinema, was viel über die Dominanz des männlichen Blicks im Kino sagt. Die durchaus packende, vielschichtige Erzählung allerdings auf das Thema Homosexualität zu reduzieren, würde Thys Film nicht gerecht werden.

    Fazit: Trotz einiger allzu schematisch gezeichneter Figuren und Konflikte ist Guy Lee Thys‘ Milieustudie die bemerkenswert einfühlsame und zugleich mitreißende Geschichte eines – mindestens – doppelten Außenseiters.

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