Wahre Regie-Legenden brauchen keinen Film im Wettbewerb, um im Rahmen eines Festivals zum Gesprächsthema zu werden. Im Notfall reicht auch eine Dokumentation, um Präsenz zu zeigen – was sich in Cannes 2012 gleich zweimal bewahrheitet. Neben dem berühmtesten New Yorker Stadtneurotiker im enorm unterhaltsamen Filmportrait „Woody Allen: A Documentary" steht auch Roman Polanski im Mittelpunkt einer Doku-Hommage. Dabei ist von Anfang an klar, dass Polanskis Lebensgeschichte ungleich härterer Tobak ist als Allens mehr oder weniger beschwingte Biografie. Als notorischer Journalistenfeind, der bei einer dummen Frage – oder zumindest bei dem, was er darunter versteht – auch gerne mal ein Interview abbricht oder wutschnaubend Pressekonferenzen verlässt, überrascht Polanski hier damit, aus freien Stücken Rede und Antwort zu stehen. 93 Minuten darf das Publikum in Laurent Bouzereaus „Roman Polanski – A Film Memoir" dem gebrochenen Englisch des polnischen Meisterregisseurs lauschen – ein Ereignis mit Seltenheitswert, auch wenn das ein oder andere kritische Nachhaken dem Gespräch mehr Dringlichkeit und Kontur verliehen hätte.
Anlass für das Gespräch war der von der Schweiz auferlegte Hausarrest, den Polanski 2010 in Gstaad absitzen musste. Zu dieser Zeit besuchte ihn sein alter Freund und Kollege, der Produzent Andrew Braunsberg, im wohnlichen Gefängnis und unterhielt sich sachte und wohlwollend mit ihm über sein an Tragödien nicht eben armes Leben. Wenige, dafür aber weitreichende Fragen werden aufgeworfen – und Polanski antwortet mit bildhafter Sprache und offener Sentimentalität. So sieht man ihn mehrfach aufspringen und bestimmte Episoden nachspielen. Oder bei den ausführlich thematisierten traurigen Etappen stocken und sogar in Tränen ausbrechen. Sowohl das unter Nazi-Herrschaft stehende Polen als auch der Mord an seiner Lebensgefährtin Sharon Tate durch die Manson-Sippe werden ausgiebig besprochen. Die zum Drehzeitpunkt wieder brandaktuelle Vergewaltigungsklage aus den Siebzigern wird dagegen auffallend spärlich und oberflächlich problematisiert – das fällt unangenehm auf.
Wer mehr über die komplizierte Rechtslage des Jahrzehnte andauernden Verfahrens wissen möchte, dem sei die äußerst gelungene HBO-Doku „Roman Polanski: Wanted and Desired" ans Herz gelegt. Regisseur Laurent Bouzereau und Interviewer Braunsberg jedenfalls wissen sehr wohl, dass man Polanski nicht mit allzu kritischen Fragen behelligen sollte. Was Schnitt und Aufbereitung angeht, fällt die Polanski-Horror-Picture-Show eher unspektakulär aus. Gelegentlich gibt es historisches Material, darunter Einblicke in ein Fotoalbum der Polanskis zu sehen. Der naheliegende, aber aufschlussreiche Kunstgriff, anhand von Ausschnitten aus seinem Werk zu illustrieren, wie das bewegte Leben Polanskis in seine Filme eingeflossen ist, wird leider recht schnell wieder fallengelassen. So bleibt der Film die Aufzeichnung eines oft bewegenden, letztendlich aber unkritischen Gesprächs mit einer lebenden Legende, die genau weiß, wie sie sich darstellen will und was sie von sich preisgibt.
Fazit: „Roman Polanski – A Film Memoir" ist eine autorisierte und daher allzu wohlwollende Biografie in Filmform. Bei einem so interessanten Gesprächspartner wie Polanski ist man jedoch versucht, etwaige Bedenken vom Tisch zu fegen und einfach seine kindliche Fabulierfreude zu genießen.