Wer bin ich? Wer möchte ich sein? Wen sieht man in mir? Solche Fragen nach dem, was neuhochdeutsch als „Identität“ bezeichnet wird, stellt sich Spike Jonze, dessen neuer Film „Adaptation“ mit Nicolas Cage, Tilda Swinton und Meryl Streep gerade auf der Berlinale zu sehen war, in einer skurrilen Komödie. Dabei geht es nicht nur um das, was ebenso neuhochdeutsch als Identitätskrise ausgemacht wird, sondern auch um Sein und Schein des Kinos selbst, um Voyeurismus, Starkult und Erwartungshaltungen und die allzu menschliche Eigenschaft der Selbstverliebtheit.
Craig Schwartz (John Cusack) ist eine arme Sau, nämlich erfolgloser Puppenspieler und damit brotloser Künstler. Aussehend wie ein Post-John-Lennon geistert er mit seinen Marionetten, die er realen Personen, u.a. natürlich sich selbst, nachempfunden hat, durch die Stadt aller Städte New York. Kaum jemand interessiert sich für die düsteren Geschichten, die er mit seinen Puppen präsentiert. Im Gegenteil: Der Vater eines kleinen Mädchens verpasst ihm einen Schlag, weil er annimmt, Craig führe obszöne Dinge vor den Augen des Kindes auf. Für Craigs Frau Lotte (Cameron Diaz) gehört er neben einem Affen und anderen Tieren zum privaten Wohnungs-Zoo.
Eines Tages entschließt sich Craig, dem Drängen Lottes nachzugeben und endlich eine Arbeit zu suchen. Er landet im 7 1/2-Stock eines Hochhauses, in dem er von einem gewissen Dr. Lester (Orson Bean) einen Job erhält. Lester, der angeblich schon 105 Jahre alt ist, weil er nur Karottensaft trinkt, scheint nichts weiter als Sex im Kopf zu haben, vor allem (erfolglos) in bezug auf seine Sekretärin Floris (Mary Kay Place). Craig lernt Maxine (Catherine Keener) kennen, die dort auch – wie alle gebückt gehend – arbeitet. Maxine ist sexy, verführerisch – und kalt. Sie lässt Craig mit ihr flirten und ihn gleichzeitig abblitzen.
Der Erfolg scheint sich also für Craig auch hier nicht einzustellen, bis er zufällig hinter einem Schrank eine geheimnisvolle Tür entdeckt, die in einen dunklen Gang führt. Der Gang erweist sich als Portal zum Gehirn des Schauspielers John Malkovich. Er schaut durch dessen Augen. Nach einer Viertelstunde allerdings wird Craig „rausgeschmissen“ und landet irgendwo auf der Autobahn von New Jersey. Craig erzählt dies alles aufgeregt sowohl seiner Frau, als auch Maxine, die ihn dazu bringt, aus der mysteriösen Angelegenheit ein Geschäft zu machen: 200 Dollar für die Erfahrung, 15 Minuten John Malkovich zu sein. Craig sieht seine große Chance. Die Sache hat allerdings mehrere Haken, wie sich bald erweisen wird ...
Identität, ein Begriff aus der Psychologie und verbunden hier vor allem mit dem Namen Erik Erikson. Seine Identitätstheorie kreist um das Problem, wie sich Individuen kohärent und kontinuierlich Orientierung im sozialen, ethischen und physischen Raum verschaffen können. In gewisser Weise ist daher der Identitätsbegriff nur verständlich, wenn er von extremen Orientierungsproblemen her gedacht wird. Identität ist sozusagen der „gesunde“ Bezugspunkt, gesehen aus der Situation radikalen Orientierungsverlustes. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass Identität hier nicht mit Substanz „gefüllt“ ist. Identität bezieht sich lediglich auf eine Form, eine Struktur, nicht auf qualitative Inhalte. Ob sich jemand als überzeugter Christ oder radikale Feministin versteht, ist nicht Thema von Identität. Es kommt allein darauf an, ob jemand – als was auch immer – zu einer eigenständigen Lebensführung fähig ist, ob ihn also seine Überzeugungen, sein Verhalten, seine Normen etc. dazu befähigen, sich zu orientieren, und diese es anderen ermöglichen, sich an ihm zu orientieren. Zugleich ist anzumerken, dass der Identitätsbegriff historischen und gesellschaftlichen Voraussetzungen unterliegt, die ihn selbst in seiner Anwendung begrenzen. Auch seine Aufnahme in die Sozialwissenschaften Ende der 60er Jahre spricht dafür, dass insbesondere die „Erfahrung einer beschleunigten, dynamisierten Zeit, die Erfahrung des eigenen Selbst, ja der Wirklichkeit überhaupt, als Möglichkeitsraum“ (1) das Problem der Identität auch für die Diskussion in den Sozialwissenschaften erst interessant machte.
Jedenfalls bleibt der psychologische Identitätsbegriff – so berechtigt auch die Fragen sind, die ihn hervorriefen – von Vagheit und Unbestimmtheit charakterisiert. Im Grunde ist er lediglich ein formaler Rahmen, um Orientierung verorten zu können. Was Identität „ist“, kann empirisch nicht festgestellt werden. Was festgestellt werden kann, sind Identifikationen, die – lebenslang – wechseln. Insoweit kann Identität im Sinne von Kohärenz und Kontinuität vielleicht einen Prozess bezeichnen, in dem Individuen sich in einer „schnelllebigen“ Zeit, die auch durch Individualisierungsprozesse und Mobilitätsverlangen charakterisiert ist, sich ihrer selbst und ihrer sozialen Geborgenheit zu versichern versuchen.
Ende des wissenschaftlichen Exkurses.
Wie tief gesunken ist doch die alltagssprachliche und marktkonforme Version eines deformierten Begriffs von „Identität“! Das ist das beherrschende Thema von Spike Jonzes „Being John Malkovich“. Identität wurde – wie vieles anderes – auf dem Markt der Eitelkeiten, Waren und Dienstleistungen medial und mit viel Werbung zu einem Verkaufsprodukt wie Che-Guevara-Hemden. Die zündende Idee, um den Schneeball der Kuriositäten und Absonderlichkeiten, der Verwirrung und Verzweiflung, des Skurrilen und leicht Kafkaesken ins Rollen zu bringen, ist so einfach und einleuchtend wie unmöglich und zynisch zugleich: Ein Portal führt in das Seelenleben eines anderen.
Da sind sie alle versammelt: die mediengerechte Version des originalen John Malkovich, die kaum wieder zu erkennenden Stars des Hollywood-Kinos John Cusack und Cameron Diaz, die beide dermaßen verkleidet und „verunstaltet“ werden, dass ihre visuellen Business-Images nicht mehr wiederzuerkennen sind. Hinter ihren Masken verbergen sich zwei, die beide an dem zu leiden scheinen, was – schon fast abgeschmackt klingend – als „Identitätskrise“ bezeichnet wird. Cusacks Craig Schwartz erkennt seine große Chance, endlich zu sich selbst, zu seinem erfolgreichen Image zu kommen, indem er versucht, sich auf Dauer im Gehirn und im Seelenleben des großen Malkovich einzunisten –, wobei er dabei dessen Identität natürlich destruiert. Nicht anders Lotte im Lotter-Look, die über das Portal in den Schauspieler „kriecht“ und mit Maxine schläft. Wird sie ihre neue Identität finden – als Mann oder Lesbe? Nur Malkovich scheint – jedenfalls bevor Cusack sich seiner bemächtigt – er selbst zu sein. Als er sein „eigenes“ Portal betritt, gerät er an die Grenze zum Wahnsinn: Nur noch Malkovichs, als Frauen, Männer, alt und jung, die alle nur ein Wort sagen: Malkovich.
In teils satirischer, teils zynischer, auf jeden äußerst humorvoller Weise räumt Jonze mit der marktkonformen Identitätsbegriffshülse ebenso auf wie mit Starkult und Selbstverliebtheit, hinter denen sich nicht viel mehr verbirgt als das, was der genannte Erik Erikson ausgemacht hatte: Orientierungsverlust. Allerdings trifft das den berühmten Nagel nicht ganz auf den Kopf. Denn der Marktmechanismus schafft Orientierung in der Illusion. Etliche Zeit beherrscht Craig Malkovich, wobei er sich dabei nur dessen körperliche Hülle und mediale Wirksamkeit zu eigen macht – und er selbst bleibt: ein Erfolgloser, der zu der Erkenntnis gelangen muss, dass dieser „Umweg“ über Malkovich ihn schnurstracks zu sich selbst zurückführt: erfolgloser denn je.
Jonze weiß, wovon er redet und filmt, denn schließlich kommt er aus der Musik-Video-Branche und hat unzählige Clips für Gruppen und Stars produziert. Jonze beobachtet das Treiben seiner Schauspieler, als wenn er ihnen heimlich das Portal „untergeschoben“ hätte, um sich ins Fäustchen zu lachen: „Nun macht mal schön, ich schau mir Euer Verhalten mit Genuss an.“ Jonze lässt den Film nie aus dem Ruder laufen, so chaotisch, aber nicht etwa undurchschaubar, sich die Geschichte gegen Ende auch entwickelt. Wie in einem medialen russischen Roulette streiten die Protagonisten zwischen Identität, Geld und Ansehen darum, John Malkovich zu sein. Und so bekommen sie alle, nicht bösartig, aber bissig, ihr Fett weg – das Geschäft mit dem Visuellen, genannt Kino, die Marktschreier, die uns unsere angeblich „wahre“ Identität verkaufen wollen, die Patchwork-Ideologen, die in die gleiche Kerbe hauen, und Jonzes eigene Branche natürlich auch. Und Charlie Sheen darf sich in einem Cameo-Auftritt über sich selbst lustig machen. Einer „siegt“ allerdings auf eine unglaubliche und zugleich erschreckende Weise: Dr. Lester. Aber das will ich hier nun wirklich nicht verraten.
(1) Jürgen Straub: Personale und kollektive Identität. Zur Analyse eines theoretischen Begriffs, in: Aleida Assmann, Heidrun Friese (Hrsg.): Identitäten. Erinnerung, Geschichte, Identität 3, Frankfurt am Main 1998, S. 89.