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    Knistern der Zeit - Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Knistern der Zeit - Christoph Schlingensief und sein Operndorf in Burkina Faso
    Von Katharina Granzin

    Am 21. August 2010 starb Christoph Schlingensief im Alter von nur 49 Jahren. Aber er ist nicht wirklich tot. In Sibylle Dahrendorfs liebevoller Dokumentation „Knistern der Zeit" über Schlingensiefs Operndorfprojekt in Burkina Faso, die bei mehreren Besuchen in Afrika zwischen 2009 und 2011 gedreht wurde, lebt der Theater- und Filmregisseur weiter. Denn niemand von all den Freunden und Weggefährten, die Dahrendorf auch nach seinem Tod noch einmal vor der Kamera befragt hat, scheint glauben zu können, dass es ihn gar nicht mehr gibt. Im Himmel sei er, singt der eine. „Er sitzt hier irgendwo und sieht uns zu", lächelt ein anderer, „vielleicht ist er in dem Fotokopierer dort." Und Schlingensiefs Frau Aino Laberenz, die das Projekt in Afrika weiterführt, sagt, sie habe das Gefühl, „dass Christoph immer wieder extrem da ist."

    Wie extrem er zu Lebzeiten da war, das zeigt Dahrendorfs Film eindrücklich. Die Filmemacherin und Fernsehjournalistin dokumentiert das Operndorf-Projekt von seinen Anfängen bis zur Eröffnung der Schule, die das Ende des ersten Bauabschnitts markiert. Wir sehen Schlingensief zusammen mit dem Architekten Diébédo Francis Kéré durch wüstes, trockenes Land streifen, auf der Suche nach einem geeigneten Platz für das Projekt. Die beiden beugen sich über Pläne, diskutieren den Entwurf. Später erleben wir die ersten Bauphasen mit, erleben auch einen zwischendurch sehr grimmigen Christoph Schlingensief, dem alles nicht schnell genug geht, und staunen nicht schlecht, als wir am Schluss wirklich die ersten Kinder in der Schule des Operndorfs sehen.

    Die ungefähre Chronologie gibt dem Film einen zeitlichen Rahmen. Doch um den groben linearen Ablauf herum hat Dahrendorf ihr Material, darin dem Grundriss des geplanten Dorfes nicht unähnlich, gleichsam kreisförmig angeordnet. Ausschnitte aus Gesprächen, die nach Schlingensiefs Tod stattgefunden haben, durchziehen ebenso den gesamten Film wie Szenen aus der Anfangsphase des Projekts oder aus dem Theaterprojekt „Via Intolleranza". Und dazwischen immer sind immer wieder schöne, atmosphärische Bilder aus der staubigen ländlichen Gegend nahe Ouagadougou zu sehen, wo das Operndorf entsteht. Dabei gelingen mitunter ganz nebenbei poetische Momente, wie jener, in dem die Kamera still beobachtend auf einem am Wegrand versunken zuschauenden Kind ruht, während eine Gruppe von Schauspielern laut musizierend durchs Bild zieht.

    Die Phasen, aus denen das Filmmaterial stammt, sind jeweils gut an Schlingensiefs sich veränderndem Äußeren zu erkennen. Mal ist er deutlich gezeichnet von der letzten Chemotherapie, ein anderes Mal bietet er äußerlich ein trügerisches Bild blühender Gesundheit. Zur Grundsteinlegung im Februar 2010 erscheint er im schicken Anzug, den er vor Ort gegen ein traditionelles Gewand eintauscht, und wirkt gelöst, glücklich und gerührt. Dass er schon ein halbes Jahr später sterben sollte, konnte er selbst sich da wohl am wenigsten vorstellen. Und dass er bei der Eröffnungsfeier der Schule im Oktober 2011 nicht mehr persönlich dabei sein konnte, macht Sibylle Dahrendorf nachträglich dadurch wett, dass sie ihn, gefilmt während einer Probe zu „Via Intolleranza", kunstvoll beim Schnitt in die Szene integriert. Auch das ist sehr berührend.

    Fragen nach dem Sinn oder den ideellen Hintergründen des ambitionierten Projekts einer „Oper für Afrika", eines Ortes, wo sich Kunst und Leben begegnen und eins werden sollen, zu dem neben dem Festspielhaus und der Schule, auch noch eine Krankenstation, ein Sportplatz und anderes gehören, werden in diesem Film niemals gestellt. Sie stellen sich auch einfach nicht. Denn so, wie Dahrendorf diesen Schlingensief zeigt, der sein ungewöhnliches Projekt mit einer Art reiner, fast heiliger Energie vorantreibt, erscheint es als das Natürlichste von der Welt, dass er tut, was er da tut. Auch wenn jeder andere sich dabei verrückt vorkäme.

    Fazit: Sibylle Dahrendorfs Dokumentation ist ein klug komponierter, mal ernsthafter, mal verspielter Film über einen, der den Willen hatte, etwas zu tun, das anderen unmöglich scheinen würde: eine im wahren Wortsinne bildschöne Hommage an Christoph Schlingensief und die Liebe zum Leben.

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