Mein Konto
    Simon
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Simon
    Von Matthias Kaumanns

    Die Auseinandersetzung mit dem Zweiten Weltkrieg, dem Nationalsozialismus und insbesondere mit dem Antisemitismus ist noch lange nicht abgeschlossen – nicht in Deutschland und nicht in Europa, denn Antisemitismus ist keineswegs ein ausschließlich deutsches Phänomen. Auch das Königreich Schweden muss seine Rolle im Zweiten Weltkrieg und im antisemitischen Gewaltrausch der 30er und 40er noch weiter begreifen lernen. Das prominenteste Beispiel für diese andauernde Aufarbeitung dürfte Stieg Larssons Millennium-Trilogie sein, in welcher der nunmehr verhohlene Antisemitismus der Elterngeneration immerhin so offen thematisiert wurde, dass die Bücher eine publizistische Kontroverse nach sich zogen. Ähnlich kritisch ist auch Marianne Fredrikssons 1985 erschienener Bestseller-Roman „Simon" angelegt, den Lisa Ohlin nun in deutsch-schwedischer Zusammenarbeit auf die Leinwand bringt. Trotz einer zu hastig erzählten ersten Filmhälfte ist Ohlin mit ihrem historischen Drama eine überzeugende Adaption gelungen, die mit thematischem Anspruch, atmosphärischen Bildern und dem vielversprechenden Bill Skarsgard in der Hauptrolle aufwartet.

    Südschweden, 1939: Anstatt mit anderen Kindern zu spielen, sitzt der kleine Simon (Jonatan S. Wächter) lieber in den Ästen einer alten Eiche, liest Bücher und träumt von Pharaonen und Kamelen. Zum Unmut seines Arbeitervaters Erik (Stefan Gödicke) hat er sich sogar in eine Eliteschule in Göteborg eingeschrieben. Am ersten Schultag lernt Simon Isak Lentov (Karl Martin Erikson), den Sohn eines jüdischen Buchhändlers, kennen, der mit seiner Familie aus Nazi-Deutschland nach Schweden geflohen ist. Über Isaks Vater Ruben (Jan-Josef Liefers) lernt Simon eine neue, faszinierende Welt der Kultur und des Luxus kennen. Als der Zweite Weltkrieg ausbricht, gibt der verzweifelte Ruben sein Kind in Eriks Obhut. Doch während sich Isak schnell an der Arbeit mit Simons Vater erfreuen kann, verhärten sich wiederum die Fronten zwischen Erik und seinem Sohn. Erst Jahre später kommt heraus, dass Simon (nun Bill Skarsgard) adoptiert wurde und der Sohn eines deutsch-jüdischen Violinisten ist. Zusammen mit seinem Ersatzvater Ruben reist er nach Deutschland, um nach seinen Wurzeln zu suchen...

    In vielerlei Hinsicht ist Lisa Ohlins erste internationale Filmproduktion nicht primär eine Geschichtslektion, sondern eine klassische Coming-of-Age-Geschichte. In einer Folge knapper Episoden wird Simons Kindheit nachgezeichnet. Schnell ist etabliert, dass er ein verträumter Bücherwurm, sein Vater fast ängstlich anti-intellektuell und seine Mutter eine fürsorgliche Frau ist. Ohlin springt jedoch mit einer solchen Hast durch die frühen Handlungsstationen, dass die atmosphärischen Bilder von Hollywood-Kameramannn Dan Laustsen („Silent Hill") nur selten ihre volle Wirkung entfalten und so das Publikum in Simons Welt einladen können. Der qualitative Wendepunkt des Films kommt mit dem Zeitsprung in den Spätherbst 1945. Fortan geht der 17-jährige Simon, stark gespielt von Stellan Skarsgard-Sohn Bill, auf Spurensuche. Und damit rückt endlich auch das zentrale Thema der Romanvorlage in den Vordergrund: die komplizierte Auseinandersetzung mit den eigenen Wurzeln.

    Die Offenbarung seiner jüdischen Herkunft inspiriert Simon nicht nur dazu, die antisemitischen Äußerungen, mit denen sein Schulfreund Isak zu kämpfen hatte, im Nachhinein neu zu bewerten. Ebenso gewinnt er einen neuen Blick auf seinen wohlhabenden und belesenen Gönner Ruben, zu dem er stets ein besseres Verhältnis als zu seinem Vater hatte. So stellt sich für Simon schließlich die Frage, inwiefern die Erlebnisse der Elterngeneration sein eigenes Leben prägen müssen, sollen und dürfen. Simon emanzipiert sich in seinen aufmüpfigen Studienjahren nicht nur von seinen Adoptiveltern, sondern auch von Ruben – stets auf der Suche nach einer eigenen Haltung zu Welt und Geschichte. Diese Passagen, in denen vom ständigen Vorwärtstasten des Titelhelden erzählt wird, sind thematisch ergiebig und emotional packend – und das nicht zuletzt, weil Ohlin diese Szenen mit genau der Geduld und Sensibilität entfaltet, wie sie auch dem ersten Akt gut gestanden hätte.

    Fazit: „Simon" beginnt anstrengend hastig, mit fortschreitender Spieldauer aber gewinnt Lisa Ohlins sehenswerte Romanverfilmung an Tiefe, Atmosphäre und emotionaler Durchschlagskraft.

    Möchtest Du weitere Kritiken ansehen?
    Das könnte dich auch interessieren
    Back to Top