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    Work Hard - Play Hard
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Work Hard - Play Hard
    Von Robert Cherkowski

    In seinem 1971 erschienenen Song „Progressiv, dynamisch, mit Phantasie, aber sachlich" berichtete der 2011 verstorbene Liedermacher Franz Josef Degenhardt von der Mentalität einer jungen Generation von Aufsteigern, die kein Interesse mehr an den ideologischen Grabenkämpfen der 60er Jahre hatten; die keine Lust mehr hatten, die Welt zu verändern oder zu verbessern, sondern sich einzig und allein am Markt orientierten, der nicht auf Menschen warten würde und dem man sich anzupassen hätte. Wie ein Magier beschwor Degenhardt die Tugenden von morgen. Immer wieder verfiel er dabei in dystopische Science-Fiction-Visionen, die damals vielleicht noch wie der Teufel an der Wand wirkten, von der Realität jedoch längst eingeholt wurden. Würde man ihm heute die Job-Doku „Work Hard - Play Hard" zeigen, würde er nicht glauben, wie sehr die realen Mechanismen des Job-Lebens und die dazugehörige Rhetorik heute bereits der Science-Fiction gleichen. Für „Work Hard - Play Hard" unternahm Regisseurin Carmen Losmann Ausflüge in Berufszweige, in denen man sich der Leistungsoptimierung durch die Schaffung idealer Arbeitsbedingungen verschrieben hat. Arbeit soll Spaß machen, scheint hier das Credo zu sein. Die Erfüllung beruflicher Dienstleistungen soll nicht mehr parallel zum privaten Leben stattfinden, sondern mehr und mehr damit verschmelzen. Losmann unternimmt einen Streifzug durch Büroetagen und in Meeting-Rooms der Unternehmensberater, in der das schöne neue Arbeitsleben geplant und entworfen wird. Was leicht öde und gesprächig hätte ausfallen können, gerät in ihren Händen jedoch zu einem ebenso bildstarken wie suggestiven Dokumentar-Kleinod, das besser aussieht und mehr kluge Fragen aufwirft, als viele Spielfilme.

    Mehrmals kommen dabei Erinnerungen an Volker Sattels Atom-Dokumentation „Unter Kontrolle" auf. Beide Filme beweisen, dass das deutschsprachige Dokumentarkino auch jenseits exzentrischer Käuze wie Michael Glawogger oder Werner Herzog seinen Reiz hat und dennoch über visuell aufregende und faszinierende Qualitäten verfügt. Es besitzt schon eine ganz besondere, fast schon hypnotische Qualität, wenn die Kamera hier mit bedächtig durch die höchst ansprechenden und wohl geschnittenen Interieurs streift und sich labt an den perfekt gestalteten Oberflächen, der Ausstattung, Symmetrie und scheinbarer Perfektion. Immer werden hier Glasfassaden, Monitore und architektonische Leckerbissen ins Zentrum des Blickes und Großraumbüros ins rechte Licht gerückt – und die sind so perfekt auf optimale Arbeitsatmosphäre hin ausgerichtet, dass man fast vergisst, dass sich dort auch Menschen bewegen sollen. Wenn dann tatsächlich einmal Menschen durch die „Kulissen" schreiten, sehen sie auf seltsame Art und Weise deplatziert aus.

    Überhaupt scheint der Mensch in dieser perfekten Umgebung das einzige zu sein, das noch stört. Bis zur Lächerlichkeit gleichen die in Anzug gezwängten Aufsteiger aus den Unternehmen einander. Es sind junge Männer und Frauen, die sich sehenden Auges in eine Berufswelt stürzen, deren Oberflächen noch so ansprechend ausfallen können, die letztlich jedoch kein Interesse an etwas anderem als der Effizienz- und Profitsteigerung hat. Der Arbeiter, daran wird kein Zweifel gelassen, ist austauschbar und wirkt oft wie ein Störfaktor in Gebäuden, die wie Mahnmale einer „schönen neuen Welt" wirken. Der größte Witz (oder die große Tragödie) ist, dass sich eine ganze Generation „jungdynamischer" Baby-Boomer sich mit Elan in die Zahnräder einer Maschinerie wirft, die sie nicht als Menschen, sondern als leistungstragendes Humankapital betrachtet. Egal ob in Gruppengesprächen, beim sektenartig daherkommenden Manager-Training im Wald oder sagenhaft gestelzten Gesprächen beim Assessment-Training, in der alle Parteien sich dabei übertreffen, das gequälteste Grinsen im Raum zur Schau zu stellen - in „Work Hard – Play Hard" gibt es Menschen zu betrachten, die sich auch gut in einem Stück absurdem Theater machen würden.

    Der Theater-Vergleich passt besonders gut, wenn man sich David Mamets legendäres Stück „Glengarry Glen Ross" in Erinnerung ruft. Schon bei Mamet unterhielten sich die verzweifelten Immobilien-Verkäufer in einer zackigen und für Laien schwer verständlichen Kunstsprache. Die Gespräche, deren Zeuge man hier wird, werden in einem solch überzüchteten Business-English vorgetragen, dass man sie besser nicht parodieren könnte. Hier findet man tatsächlich keinen einzigen Satz, der nicht durch eine absurd hohe Anzahl an Anglizismen entstellt wird. Jedes Gespräch wird obendrein mit Euphemismen und Wortverdrehungen vollgestopft. Statt von Schwächen wird beispielsweise immer wieder von „Entwicklungsfeldern" gesprochen. Man möchte den Menschen in „Work Hard – Play Hard" tatsächlich so manches „Entwicklungsfeld" im Bereich des „Klartextsprechens" attestieren. Hier wird eine seltsame Kunstsprache entworfen, die man zum Glück nicht verstehen muss, um über sie zu lachen. Mit ein paar Metern Abstand zum Gezeigten und ein wenig Reflexion jedoch wird deutlich, dass „Work Hard – Play Hard" eigentlich ein todernster Film, in dem alle so tun, als ginge es um die Menschen, während sich in Wirklichkeit nur alles um ihre totale Nutzbarmachung dreht. Es ist kein Zufall das Losmann bereits bei Dirk Lütters unterkühltem Azubi-Drama „Die Ausbildung" am Drehbuch mitgeschrieben hat. Beide Filme zeichnen ein höchst beunruhigendes Bild der Arbeitswelt im Jahre 2012.

    Fazit: „Work Hard – Play Hard" ist ein visuell wie inhaltlich faszinierender Blick in die schöne neue Arbeitswelt, die zwar blendend aussieht, jedoch so eiskalt ist, dass es den Zuschauer frösteln lässt.

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