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    Miles Ahead
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Miles Ahead
    Von Michael Meyns

    „If you want to tell a story, you gotta have attitude!“, wirft Miles Davis dem Rolling Stone-Reporter an den Kopf und genau das scheint auch das Motto von Don Cheadles Musikerporträt „Miles Ahead“ zu sein: Attitude, mit Haltung nur unzureichend übersetzt, hatte Miles Davis, einer der bedeutendsten Jazz-Musiker der Geschichte, im Überfluss. Er war nicht nur ein legendärer Trompeter, sondern auch ein legendärer Frauenheld, Wüterich, Kokser und Egomane, kurz: eine schillernde, faszinierende Gestalt. Dieses Leben auf die Leinwand zu bringen, war seit Jahren ein Herzenswunsch des Schauspielers Cheadle („Hotel Ruanda“), der mit „Miles Ahead“ zugleich sein Regiedebüt gibt: Er inszenierte kein konventionelles Biopic, sondern ein flirrend-impressionistisches Porträt, das viel Jazz hat - und viel Haltung.

    New York 1980. Seit fünf Jahren hat Miles Davis (Don Cheadle) keine Platte mehr veröffentlicht, er lebt zurückgezogen, trinkt und kokst und trauert seiner großen Liebe Frances Taylor (Emayatzy Corinealdi) nach. Doch nun geht ein Gerücht um: Die lebende Jazzlegende soll wieder im Studio gewesen sein. Der Musikjournalist Dave Braden (Ewan McGregor) wittert eine Sensationsstory und bedrängt Davis, ihm ein Interview zu gewähren. Doch erst als er dem Trompeter Kokain besorgt, erklärt der sich zu einem Gespräch bereit. Der Musiker gibt dem hartnäckigen Schreiberling jedoch kein konventionelles Interview, denn nichts im Leben von Miles Davis war jemals konventionell ...

    May 26. 1926 - ... heißt es am Ende von „Miles Ahead“, das Todesdatum wird verschwiegen: Die physische Hülle von Miles Davis mag 1991 gestorben sein, aber seine Kunst ist unsterblich. Er war und ist eine überlebensgroße Figur, über die schon unendlich viel geschrieben wurde und die mit ihrer Autobiografie zudem ein exzessives Selbstporträt zur eigenen Legende beigesteuert hat. Wie wird man einer solchen Persönlichkeit und ihrer Kunst filmisch gerecht? Ein herkömmliches Biopic – wichtige Lebens- und Karrierestationen abhaken, Aufstieg, Fall und Comeback schildern, dazu ein wenig über die Abgründe des Helden psychologisieren – schien Don Cheadle nicht das Richtige zu sein, auch wenn Filme wie „Ray“ oder „Walk The Line“ gezeigt haben, dass auch dieser Ansatz zu durchaus spannenden Resultaten führen kann.

    Don Cheadle will mehr als eine Wikipedia-Seite in bewegten Bildern: Zwar ist seine expressionistische, an Davis' Gestik und Mimik angelehnte Verkörperung des Musikers durchaus in den Bereich der klassischen Celebrity Impersonation einzuordnen, doch mit seinem filmischen Ansatz geht er weit über die meisten anderen Künstlerbiografien hinaus. „Miles Ahead“ ist fast schon musikalisch strukturiert, mit impressionistischen Rückblenden gespickt fließt er so natürlich und doch unberechenbar vorwärts wie eine Jazz-Improvisation. Dabei löst sich Cheadle teilweise radikal von den äußeren Fakten, selbst zentrale Aspekte sind frei erfunden: vom Rolling Stone-Reporter über die Gründe für Davis' fünfjährigen Rückzug aus dem Musikgeschäft bis hin zur Bedeutung von Frances Taylor. Faktisch wahr sind hier nur Bruchstücke, doch gerade weil sich Cheadle und sein Co-Drehbuchautor Steven Baigelman („Get On Up“) so viele Freiheiten nehmen, wirkt ihr Miles Davis so echt und so lebendig.

    Don Cheadle spielt die Figur mit manischer Energie, lässt ihr musikalisches Genie erahnen und vor allem ihre unvergleichliche Aura. So erscheint Davis einerseits natürlich als der große Künstler, der mit „Kind of Blue“, „Sketches of Spain“ oder „Bitches Brew“ einige der berühmtesten Platten des 20. Jahrhunderts aufgenommen hat, andererseits aber auch als streitbar-unwiderstehlicher Egomane, der seinen Launen folgte, andere Menschen und insbesondere Frauen benutzte und wegschmiss, exzessiv trank und Drogen nahm und mit der Halbwelt in Konflikt geriet. Und „Miles Ahead“ ist ganz wie sein Held: sinnlich und skrupellos, verführerisch und sehr sexy. Verrauchte Clubs, mondäne Appartements, Kleidung, Autos und Straßen der 60er und 70er Jahre – all diese Attribute einer mit knappem Budget zum Leben erweckten Ära lassen Miles Davis noch lässiger, noch cooler erscheinen. Eine mitreißende Hommage und ein faszinierend-ambivalentes Porträt.

    Fazit: Mit „Miles Ahead“ ist Don Cheadle als Autor, Produzent, Hauptdarsteller und Regisseur in Personalunion ein bemerkenswerter Film über die Jazz-Legende Miles Davis gelungen. In dem improvisiert-impressionistischen Porträt sind Stimmungen wichtiger als Fakten: Es ist gewiss in vielen Punkten nicht wahr, dafür aber immer wahrhaftig.

    Dieser Film läuft im Programm der Berlinale 2016. Eine Übersicht über alle FILMSTARTS-Kritiken von den 66. Internationalen Filmfestspielen in Berlin gibt es HIER.

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