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    Westerland
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    4,0
    stark
    Westerland
    Von Katharina Granzin

    „Westerland" handelt von zwei Menschen, die sich sehr nahe stehen, dabei aber nicht unbedingt gut füreinander sind – erst recht nicht für alle Zeiten. Das ist der Stoff für das Leinwanddebüt des Roman- und Hörspielautors Tim Staffel, der aus seinem eigenen Buch „Jesús und Mohammed" eine Mischung aus einem Liebesfilm, einem Beziehungsdrama und einem Film über die vielen Facetten der Freundschaft macht. Gedreht wurde auf der winterlichen Insel Sylt, wo der Regisseur kontrastreiche Kulissen vorfand – von grandioser Landschaft bis zu tristen Wohnblöcken. Die Darsteller agieren in dieser Umgebung so unverstellt und authentisch, dass der Film immer wieder fast wie eine Dokumentation wirkt – ein wahrhaftiges, ungekünsteltes und intensives Kinoerlebnis.

    Cem (Burak Yigit) und Jesús (Wolfram Schorlemmer) begegnen sich zufällig in der Umgebung von Westerland, als Jesús gerade dabei ist, sich eine Plastiktüte über den Kopf zu ziehen. Cem, der beim Ordnungsamt jobbt und an der Abendschule sein Abitur macht, lebt in geregelten Verhältnissen, hat Freunde und Familie. Jesús dagegen ist ein Einzelgänger und Dauerkiffer. In der folgenden Annäherung werden sowohl die Gewissheiten des einen als auch die Haltlosigkeit des anderen in Frage gestellt. Jesús zieht bei Cem ein, der in einem hässlichen grauen Hochhaus mit Meerblick wohnt. Cem beginnt, sein altes Leben immer mehr zu vernachlässigen, um mit Jesús zusammen zu sein. Gemeinsam igeln sie sich in ihrer ganz privaten Welt ein. Doch auf Dauer, das wird zunehmend klar, wird Cem Jesús nicht retten können...

    Wer hier eigentlich wen retten will, soll oder kann, das ist keineswegs so klar, wie es auf den ersten Blick scheint. Denn Cem, bei dem vordergründig alles stimmt, lebt sein Leben in einer Komfortzone, deren enge Grenzen ihm zuvor nie aufgefallen sind. Durch das Zusammentreffen mit Jesús, der, fast wie vom Himmel gefallen, plötzlich in sein Leben tritt, setzt bei Cem eine krisenhafte Entwicklung ein, die etwas von einer Läuterung hat. Die Beziehung der beiden Protagonisten bleibt jedoch ambivalent: Einerseits wird eine selbstverständliche Vertrautheit gezeigt, eine zarte Bindung, die auch körperliche Nähe einschließt (auch wenn der Regisseur explizite Sexszenen vermieden hat), andererseits scheint Cem bei aller Zugewandtheit niemals ganz an Jesús heranzukommen.

    Burak Yigit und Wolfram Schorlemmer spielen ihre Rollen so intensiv, als seien sie in eine zweite Haut geschlüpft. Und auch die Nebendarsteller überzeugen mit großer Natürlichkeit. Der Eindruck direkt abgefilmten Lebens wird verstärkt durch die dokumentarisch wirkende Kameraführung, über die oft die Perspektive eines zufällig anwesenden Beobachters mit spontan wanderndem Blick eingenommen wird. In starkem Kontrast dazu stehen die geradezu emblematischen Außenaufnahmen, in denen die Menschen vor der weiten Insellandschaft zu sehen sind. Durch die klare Abgrenzung zwischen den beiden inszenatorischen Methoden steht die Insel hier für zweierlei: einerseits für das Verhältnis zwischen Cem und Jesús, andererseits für einen Ort am äußersten Rand der Gesellschaft. Und diesen Ort, das macht Staffel mit seinen Tableaus deutlich, den gibt es auch unabhängig von seinen Figuren und keineswegs nur auf Sylt.

    Fazit: Tim Staffels Leinwand-Debüt „Westerland" ist ein leiser, schön anzusehender und beeindruckend gespielter Film über eine so innige wie schwierige Beziehung zwischen zwei jungen Männern, die nicht glücklich enden kann.

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