Im besten Falle ermöglicht eine Dokumentation das Eintauchen in eine fremde Welt: ein fernes Land, ein abgeschottetes Milieu, eine faszinierende Psyche. Die Fernsehjournalistin Marion Hütter ist bereits nach Thailand, Kambodscha, Indien, Peru und Nicaragua gereist, das Thema ihres jüngsten Films fand sie jedoch zu Hause. In ihrer Dokumentation „Dichter und Kämpfer" hat sie die Faszination der Poetry Slams, einer ganz besonderen Form des Dichterwettstreits, filmisch eingefangen: die Dynamik des gesprochenen Wortes, den Reiz von Reim, Rhythmus und Rampensäuen. Die Kunstfertigkeit ihrer Protagonisten ist bewundernswert, der Elan des Films mitreißend – vom im Untertitel versprochenen „Leben als Poetry Slammer in Deutschland" ist dagegen eher wenig zu erfahren.
Vier Slammer werden in „Dichter und Kämpfer" bei ihren Auftritten, den Vorbereitungen darauf und ihrem alltäglichen Leben zwischen den Performances begleitet. Sebastian Rabsahl, der unter dem Künstlernamen Sebastian23 auftritt, hat 2008 die deutsche Meisterschaft im Poetry Slam gewonnen. Nun bemüht er sich als Mitorganisator, den Wettbewerb von 2010 auf die Beine zu stellen. Als Titelverteidiger wird Philipp „Scharri" Scharrenberg anreisen, der trotz eines vollen Terminkalenders versucht, auch als Kabarettist Fuß zu fassen. Dritter im Bund ist Julius Fischer, der als Teil des Duos The Fuck Hornisschen Orchestra schon im Fernsehen aufgetreten ist. Dennoch sieht er es skeptisch, wie sehr sich die einstige Subkultur dem Mainstream öffnet. Schließlich ist da Theresa Hahl, eine kleine, introvertiert scheinende junge Frau, die mit Lampenfieber, ihrer plötzlichen Popularität und der intensiven Nachdenklichkeit ihrer Texte zu kämpfen hat.
Mehr als von den Menschen erzählt Marion Hütter vom Slamming selbst, von Wortspielen, subtil verpackten Lebensweisheiten – und von der Darbietung, die unbedingt ein schauspielerisches Element haben muss. Der Kontakt zum Publikum ist entscheidend, im besten Fall zieht der Slammer es mit leiser Stimme ganz tief in die eigene Welt. Gerade Theresa Hahl gelingt dies immer wieder, wie einer der schönsten Momente des Films zeigt: Da wartet sie vor der Treppe zur Bühne, rechts der Vorhang, links ein Kollege, über Lautsprecher wird die Punktzahl für seinen Vortrag durchgesagt. Während er lauscht, hüpft, mit ein paar Mitstreitern vor Freude gluckst, bleibt Hahl vollkommen unbewegt, ganz bei sich, im Tunnel – der Konzentration oder des Lampenfiebers, wer weiß das schon.
In diesen Momenten, auf, vor, hinter der Bühne ist „Dichter und Kämpfer" ganz bei sich. Mit Scharris Meisterstück von 2009, einer witzigen, mit Verrenkungen untermalten Hypochonder-Wehklage, eröffnet Hütter den Film, der Vortrag endet mit: „Da habe ich euch auch angesteckt!". Und darum geht es der Regisseurin offensichtlich: um das Nahebringen einer Kunstform an die Zuschauer, um die Infektion des Filmpublikums mit dem Poetry-Virus. Keine Frage, das immer populärer werdende Slamming ist kinotauglich, was Hütter mit ihrem Film eindrücklich beweist. Aber als Künstlerporträt ist „Dichter und Kämpfer" weniger gelungen, zu sehr geraten die Bühnenpersönlichkeiten in den Vordergrund und die Menschen dahinter verschwinden ein wenig.
Marion Hütter ist ihren Protagonisten nach Hause gefolgt, hat sie nach Wünschen, Motivationen, Sorgen gefragt: Wo kommt ihr her, wo wollt ihr hin? Es wird schnell klar: Als Poetry Slammer seinen Lebensunterhalt zu verdienen, ist nicht leicht, hier mal eine CD, da ein Buch, dort ein Bühnenprogramm. Auch untereinander unterscheiden sich die Situationen deutlich. Während Julius Fischer seinen Underground-Wurzeln verhaftet bleibt, stört sich Sebastian23 weniger an der zunehmenden Massentauglichkeit seiner Kunst und gibt sogar Workshops für angehende Slammer. Auf dieser persönlichen Ebene fehlt allerdings ein wenig die klare Linie, mit einer etwas persönlicheren Herangehensweise hätte dieser sehr lebendige Film noch lebendiger werden können.
Fazit: Marion Hütter präsentiert in „Dichter und Kämpfer" zahlreiche verspielte, mitreißende Auftritte von ungewöhnlichen Künstlern. Ihr Film ist ebenso an Fans, die nach neuem Stoff hungern, gerichtet wie an Neugierige, die überzeugt sein werden: Ja, Poetry Slamming ist tatsächlich Kunst. Allein der Blick in die Biografien und Zukunftspläne der Protagonisten fällt ein wenig oberflächlich aus.