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    Reality
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    2,5
    durchschnittlich
    Reality
    Von Robert Cherkowski

    15 Minuten Ruhm – mehr sei nicht drin für all die Jungstars, die vom großen Moment im Rampenlicht einer gnadenlosen Unterhaltungsindustrie träumen. Heute ist der berühmte Ausspruch von Andy Warhol längst wieder überholt: Aufgrund zu großem Gedränge im Scheinwerferlicht stehen inzwischen nur noch geschätzte fünf Minuten pro Anwärter zur Verfügung. Der Preis der Bekanntheit? Lange Schande! Jeder, der es wirklich darauf anlegt, hat die Chance, auf dem Jahrmarkt der Eitelkeiten, im deutschen Trash-TV, das unheilvoll um sein Epizentrum Dieter Bohlen kreist, ausgestellt zu werden. Eine der ersten Shows, in der „einfache" Menschen die Gelegenheit bekamen, sich vor einem Millionenpublikum zum Affen zu machen, war „Big Brother"; eine Sendung, die in Deutschland vor allem in den Anfangsjahren für Aufsehen sorgte und in Italien nichts von ihrer Popularität eingebüßt hat und nun in Matteo Garrones neuem Film, der Tragikomödie „Reality" den Rahmen für ein wundervoll fotografiertes Theater der Eitelkeiten bietet. Bloß, was hilft all der Elan, den er in die Bildgestaltung und die verspielte Visualisierung investiert hat, wenn er seine Geschichte auf der Grundlage eines so schwachen Drehbuches erzählt? „Reality" ist schön – und ziemlich banal.

    Eigentlich hat Luciano (Aniello Arena) alles, was man sich nur wünschen kann. Er ist beliebt bei Freunden und Familie und hat mit Maria (Loredana Simioli) eine Freundin an seiner Seite, die ihn liebt und begehrt. Trotzdem ist er nicht zufrieden. Gerne wäre er berühmt und nicht nur von seinem direkten Umfeld, sondern von Jedermann beachtet und bewundert. Um dieses Ziel zu erreichen, will Luciano in der Fernsehsendung „Big Brother" auftreten und die ganze Nation mit seinem rustikalen Charme becircen. Als die Fernsehagenturen ihn für die aktuelle Staffel ablehnen, wird aus der fixen Idee schnell eine ausgewachsene Besessenheit. In seiner Not beginnt Luciano, den letztjährigen Gewinner und schmierigen B-Promi Enzo (Raffaele Ferrante) zu stalken und sich von einer Peinlichkeit in die nächste zu stürzen...

    Matteo Garrones Medien-Gesellschaftssatire sieht fantastisch aus. Mit einer grandiosen Kamerafahrt, die von luftigen Höhen bis auf den Boden der Tatsachen führt, eröffnet der Regisseur ein visuelles Fest der Extraklasse. In zahlreichen Plansequenzen gleitet, schleicht und schwebt die Kamera wie ein manchmal schüchterner und dann wieder schamloser Voyeur durch die Szenen. Die Geografie seiner Szenen ist glasklar und auch der clevere Bildaufbau, das authentische Szenenbild, die schicken Requisiten und satten Farben begeistern das Auge. Kameramann Marco Onorato liefert eine hervorragende Visitenkarte ab und empfiehlt sich für die ganz großen Produktionen. Garrone lässt ihn gewähren und fast scheint es, als ob der Regisseur nach seinem karg und dokumentarisch gehaltenen „Gomorrha, Reise in das Reich der Camorra" nun ein Kontrastprogramm mit den buntesten Farben malen will.

    Irgendwann erschöpfen sich jedoch auch die kreativsten Gestaltungsexperimente, wenn die Erzählung dahinter nicht wasserdicht ist. Garrone will ein paar muntere Schritte in den großen Fußstapfen Federico Fellinis tanzen – in „Das süße Leben" hatte dieser vor Jahrzehnten schon die Geschichte eines kleinen Mannes erzählt, der so gern dazugehören würde und doch nur ein Zaungast der Schönen und Reichen ist, die jeder kennt, während der Protagonist ein Niemand unter vielen bleibt. Die narrative Eleganz Fellinis geht „Reality" jedoch völlig ab. Erst nach fast einer Stunde Spielzeit wird klar, was hier eigentlich genau erzählt werden soll: Der Fiebertraum der Prominenz um jeden Preis endet früher oder später in Isolation oder gleich im Wahnsinn.

    Hauptdarsteller Aniello Arena legt seine Rolle neurotisch und latent aggressiv an, um darauf hinzuweisen, dass seine Obsession nicht nur komisch ist, sondern auch sehr tragische Dimensionen annehmen könnte. In guten Momenten erinnert er damit an Robert De Niro in „The King of Comedy". Als Komödie funktioniert "Reality" jedoch kaum. Zu lachen gibt es hier nicht viel. Ohnehin reden die meiste Zeit über bloß alle Protagonisten aneinander vorbei oder schreien sich wild gestikulierend an. Das ist bestenfalls Klamauk, schlimmstenfalls bleibt einfach unklar, was genau jetzt witzig sein sollte und was nicht. Die ohnehin arg simple Botschaft verpufft darüber mehr und mehr. „Reality" soll großes Kino über große Themen sein, fühlt sich letztendlich jedoch wie ein Kunstprodukt an, das sich auf halber Strecke als reines Blendwerk entpuppt.

    Fazit: „Reality" ist eine visuell begeisternde Tragikomödie, aber Regisseur Matteo Garrone hat mittendrin plötzlich nichts mehr zu erzählen hat und langweilt fortan mit müden Gags, ohne seinem bedeutsamen Thema etwas hinzuzufügen.

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