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    Jersey Boys
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,0
    solide
    Jersey Boys
    Von Andreas Staben

    In einer der besten Szenen von Clint Eastwoods „Jersey Boys“ diskutieren Musiker und Songwriter im Aufnahmestudio die Bedeutung des Textes ihrer neuen Single „Walk Like A Man“, die zum dritten Nummer-Eins-Hit ihrer Band The Four Seasons in Folge werden soll. Es gehe letztlich darum, vom Jungen zum Mann zu werden, heißt es dann und damit bringen die Drehbuchautoren Marshall Brickman (Oscar-Gewinner für Woody Allens „Der Stadtneurotiker“) und Rick Elice eines der wichtigsten Themen des ganzen Films auf den Punkt: „Jersey Boys“ mag auf dem mit vier Tonys ausgezeichneten Broadway-Musical gleichen Namens basieren, aber die Kinoversion ist mindestens genauso sehr ein Hinter-den-Kulissen-Drama, in dem es um die Mühen und die Kosten eines Lebens im Showgeschäft geht, wie eine musikalische Zeitreise in die 1950er und 60er Jahre. Eastwood dämpft das Beschwingte des Jukebox-Musicals entschieden, trotzdem bleiben die ernsteren Aspekte des Films wegen seiner unausgereiften und sprunghaften Dramaturgie etwas unterbelichtet. Am Ende fehlt „Jersey Boys“ der Schwung eines lupenreinen Musicals ebenso wie die Tiefe des prägnanten historischen Dramas. Trotz allem kommen die unverwüstlichen Melodien der Four Seasons ebenso wie die legendäre Professionalität des Regisseurs gut zur Geltung.

    Belleville, New Jersey, Anfang der 50er: Der kleine Gauner Tommy DeVito (Vincent Piazza) erledigt für den lokalen Mafiaboss Gyp DeCarlo (Christopher Walken) kleine Aufträge und träumt nebenbei davon, als Musiker berühmt zu werden. Mit dem erst 16-jährigen Frankie Castelluccio, der sich inzwischen Frankie Valli nennt (John Lloyd Young) hat er einen äußerst talentierten Sänger an der Seite. Als einige Zeit später Bob Gaudio (Erich Bergen) zu ihnen stößt und die von Nick Massi (Michael Lomenda) komplettierte Band damit erstmals ein echtes kompositorisches Talent bekommt, nimmt sie Produzent Bob Crewe (Mike Doyle) unter Vertrag. Die Gruppe nennt sich The Four Seasons und landet 1962/63 mit „Sherry“, „Big Girls Don’t Cry“ und „Walk Like a Man“ drei Mal hintereinander an der Spitze der Charts. Unmittelbar vor einem Fernsehauftritt werden die Bandmitglieder dann jedoch mit einer nachdrücklichen Geldforderung konfrontiert: Tommy hat Schulden bei der Mafia, von denen die anderen nichts wussten. Nun brechen die Spannungen zwischen den vieren offen aus und die Four Seasons stehen am Scheideweg…

    Der Vorspann ist mit ein paar Takten aus dem Gassenhauer „December, 1963 (Oh, What a Night)“ unterlegt, aber danach spielt Musik für etwa eine halbe Stunde keine so große Rolle, wie man erwarten könnte. Wenn Tommy und seine Freunde bei ihren Raubzügen lächerlich scheitern oder wenn zwei der Ganovenkumpel Frankie einen blutigen Streich spielen, dann sind wir in der Welt der „Goodfellas“ oder der „Sopranos“ (wo der echte Frankie Valli übrigens eine größere Gastrolle innehatte). Vincent Piazza, der als Lucky Luciano in „Boardwalk Empire“ bereits Gangstererfahrung gesammelt hat, richtet sich als Tommy DeVito dabei direkt ans Publikum, später werden die anderen Bandmitglieder diese Erzählerfunktion kapitelweise übernehmen, ein elegant umgesetzter Kniff, der allerdings nicht konsequent angewendet wird und so nicht unbedingt einen Mehrwert besitzt, denn die Widersprüche zwischen den Perspektiven werden auch so deutlich. Piazza nutzt die unmittelbare Ansprache immerhin als Teil einer regelrechten Charmeoffensive und zeigt mit Abstand die energiegeladenste Darstellung. Sein Regisseur ist da zurückhaltender und wählt eine eher illustrative Herangehensweise für das Jersey-Milieu: Autos, Frisuren, Sprechweise und Attitüden stimmen, aber von bewundernder Stilisierung oder der fatalen Faszination des Verbrechens gibt es keine Spur. Trotzdem steht die fast unschuldig wirkende Musik in wirksamen Kontrast zu diesem Straßenleben, von dem sich gerade Tommy nie so ganz lösen kann.

    Der Gangsterfilm wird zum Musikfilm, als ausgerechnet der viele Jahre später für seine Rolle als Tommy DeVito(!) in „Goodfellas“ mit dem Oscar ausgezeichnete Joe Pesci (Joey Russo) der Band den Songschreiber Bob Gaudio vorstellt. Der Bewerber spielt seinen Song „Cry for Me“ und als die anderen dazu einsetzen, ist das die eigentliche Geburtsstunde der Four Seasons, was uns Eastwood in einer sehr schönen und ausführlichen Szene zeigt. Mit dem selbstbewussten Neuzugang, der als einziger nicht aus Jersey stammt, ist nun auch ein echter Hitlieferant dabei und mit dem Erfolg kommt auch Eastwood in Schwung. Bei den Auftritten zeigen dann auch John Lloyd Young, der über eine beeindruckende Falsett-Stimme verfügt, aber das unverwechselbare Timbre des echten Frankie Valli nicht ganz trifft und Bergen, warum sie ihre Broadway-Rollen auch auf der Leinwand wiederholen dürfen. Die Arrangements der von den Schauspielern selbst gesungenen Songs lassen sich als respektvoll aufgepeppt bezeichnen, aber der Höhepunkt des Films ist trotzdem eine lange Szene ohne Musik: Der Film wird zum Drama, wenn sich die Seasons in einem Hotelzimmer unter Moderation des Mafioso Christopher Walken um ihre Zukunft streiten. Es ist, als würden fünf Jungs feststellen, dass der Spaß vorbei ist.

    Clint Eastwood ist musikalisch vor allem als Jazzliebhaber bekannt und er geht mit den Pop- und Tanzstücken der Four Seasons inszenatorisch dann auch fast genauso zurückhaltend um wie mit den brillanten Soli von Charlie Parker in seinem 1988er Biopic „Bird“ – die Musik, man kann auch sagen: die Arbeit, steht im Mittelpunkt und erst im Abspann kommt es dann zu einer (durchaus mitreißenden) Tanznummer. Die Härten und die Opfer des Musikerlebens werden nicht ausgeblendet und so mag es zunächst überraschen, wenn eines der Bandmitglieder irgendwann aussteigen und sich ins Familienleben zurückziehen will, aber bei genauerer Betrachtung ist das eine sehr verständliche Konsequenz angesichts des vielfältigen Drucks, der auf den Musikern lastet. Hier ist es vor allem das Privatleben, das leidet und auch wenn die Streitigkeiten zwischen Frankie und seiner Frau und das spätere Drama um seine Tochter sehr unvermittelt kommen, macht Eastwood hier seinen Punkt ganz klar: Sei es nun politisch, kulturell oder musikalisch, die Außenwelt der Handlungszeit wird hier verblüffend umfassend ignoriert (kurze Ausnahmen wie das abweisende „Kommt wieder, wenn ihr schwarz seid“ durch einen Manager bestätigen die Regel). Der Entertainment-Dino Eastwood, der seine Langlebigkeit durch einen überraschenden „Gastauftritt“ unterstreicht, nimmt sich durchaus eigenwillig und auf seine Weise überzeugend das Recht heraus, das Universelle seiner Geschichte zu betonen.

    Fazit: „Jersey Boys“ ist eine ungewöhnliche, nicht ganz aufgehende, aber dennoch sehens- und hörenswerte Mischung aus Musical und Drama.

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