In Zeiten, in denen auch Dokumentationen oft einem Drehbuch und einer inszenierten Geschichte folgen wie ein normaler Spielfilm, ist Denis Côtés „Bestiaire" eine willkommene Abwechslung. Ganz ohne Kommentar, Interviews oder Schrifteinblendungen zeigt der kanadische Regisseur verschiedene Aspekte der komplizierten Beziehung zwischen Mensch und Tier: Ein Zeichenkurs, in dem ausgestopfte Tiere als Modell dienen, die Werkstatt eines Tierpräparators und vor allem ein Safaripark. Besonders in diesem Setting wirft Côté mit seinen oft bewusst unsauber gewählten Bildausschnitten vielfältige Fragen zur Tierhaltung, dem Prinzip Zoo und der Würde von Mensch und Tier auf.
In seinen starren Bildern erinnert Côtés Film an die Essayfilme von James Benning („Ruhr", „RR"), während die wortlose Analyse einer Institution unweigerlich an die Dokumentarfilme von Frederick Wiseman („Crazy Horse") denken lässt. Dennoch ist Côtés Film nicht leicht zuzuordnen: Für eine klassische Dokumentation bietet er zu wenig direkte Informationen über sein Sujet und liefert mit seiner Gegenüberstellung von Zeichenklasse, Tierpräparation und Leben im Zoo zudem immer wieder pointierte Interpretationsansätze, die für einen puristischen Dokumentarfilm viel zu direkt wären. Allein dass Côté in seinen Bilder die Tiere immer wieder quasi abschneidet, nur Hälse oder Füße ins Bild ragen lässt, sie bisweilen geradezu in ihre Einzelteile zerschneidet, beeinflusst die Wahrnehmung ungemein.
Gerade so wie die Zeichenschüler in der ersten Szene des Films ein Tier Stück für Stück aufs Papier bringen oder der Tierpräparator ein einst lebendes Tier nur noch als Rohmaterial betrachtet, so ist das Leben der Tiere des Safariparks für die Besucher nur zum Teil sichtbar. In den Freigehegen wirken Löwen, Antilopen oder Giraffen zwar leidlich zufrieden, haben relativ viel Auslauf, doch was hinter den Kulissen passiert bleibt meistens unsichtbar. Nicht jedoch für Côté, dessen Blick hinter die Fassade des Safari-Parks im kanadischen Quebec durchaus als einseitig bezeichnet werden könnte: Heruntergekommene Käfige sieht man da, Tiere in sehr kleinen Behausungen, teils mit abgebrochenen Hörnern oder Flügeln, denen etwas unmotiviert wirkende Wärterinnen Essensstücke zuwerfen. Ob das die Realität ist oder nur ein Ausschnitt ist für den Zuschauer nicht zu beantworten.
Doch solche Momente, in denen eine Kritik an den Zuständen der Zoohaltung überdeutlich wird, sind rar. Meist gelingt es Côté mit seiner distanzierten Herangehensweise subtil zu bleiben: Wenn er zum Beispiel mit der Kamera geradezu in den Tierkäfigen oder Freiluftgehegen drin ist und im Hintergrund Wärter oder Besucher zu sehen sind, wird der typische Zoo-Blick umgedreht: Als würden die Tiere nach draußen schauen und die Menschen hinter Gittern eingesperrt sein wirken diese Bilder und stellen so die Ethik von Zoos auf unterschwellige Weise in Frage. Dass „Bestiaire" dennoch kein plakatives Pamphlet ist, sondern es dem Zuschauer durch seinen distanzierte Stil weitestgehend selbst überlässt, sich ein Urteil zu bilden, macht Denis Côtés Film zu einem sehenswerten Film.
Fazit: Mit „Bestiaire" gelingt dem kanadischen Regisseur Denis Côtés ein Werk, das schwer einzuordnen ist: Teils Dokumentation, teils Essayfilm, teils subtil-humorvolle Kritik an den Strukturen von Zoos, jedoch immer formal streng und inhaltlich vielschichtig.