Der flämische Filmemacher Bavo Defurne ist bisher in erster Linie mit Kurzfilmen in Erscheinung getreten – fernab des Mainstreamkinos bereicherten Zwanzigminüter wie „Kampvuur" oder „Matroos" die Programme europäischer Filmfestivals und teilen dabei eine auffällige Gemeinsamkeit: Sie erzählen meist vom Erwachsenwerden, von jungen Männern auf der Suche nach ihrer sexuellen Identität und nach sich selbst. Elf Jahre nach seinem bisher letzten Werk „Kampvuur" meldet sich der Regisseur nun mit seinem ersten Langfilm zurück: In „Noordzee, Texas" erzählt er die Geschichte einer gleichgeschlechtlichen Jugendliebe in den 1960ern und knüpft inhaltlich nahtlos an sein bisheriges Schaffen an. Sein Coming-of-Age-Drama überzeugt mit einer einfühlsamen Inszenierung und ausdrucksstarken Jungdarstellern, lässt aber die erzählerische Durchschlagskraft vermissen: „Noordzee, Texas" ist über weite Strecken nett anzuschauen, bietet letztlich aber nicht viel mehr als eine hübsche Verpackung, hinter der nur wenig Substanz zu finden ist.
Ein kleines belgisches Dorf an der Nordsee: Der schüchterne Pim (Jelle Florizoone), mitten in der Pubertät, treibt seiner Mutter Yvette (Eva Van der Gucht) die Sorgenfalten auf die Stirn. Während andere Jungs in seinem Alter ausgehen und sexuelle Erfahrungen sammeln, zeigt Pim überhaupt kein Interesse an Mädchen. Der 15-Jährige zeichnet gedankenversunken auf Bierdeckel und verkleidet sich mit Lippenstift und Krönchen im Schlafzimmer seiner Mutter als Schönheitskönigin. Ansonsten sucht er in jeder freien Minute die Nähe des älteren Nachbarsjungen Gino (Mathias Vergels), in den er bis über beide Ohren verliebt ist. Dessen Schwester Sabrina (Nina Marie Kortekaas) wiederum hat ein Auge auf Pim geworfen. Nachdem sich Pim und Gino bei einer gemeinsame Nacht im Zelt näherkommen, sieht der Junge sich schon am Ziel seiner Träume – doch schon bald hat Gino nur noch Augen für seine neue Freundin Françoise (Ella-June Henrard)...
Die Welt, in die Bavo Defurne den Zuschauer entführt, wirkt von Beginn an glatt und künstlich. Pim scheint monatelange Schulferien zu genießen, denn er besucht keinen Unterricht und von Verpflichtungen wie Hausaufgaben ist auch nichts zu sehen. Der Alltag des Heranwachsenden wird – von Schwarm Gino einmal abgesehen – vor allem durch die allgegenwärtige Weiblichkeit geprägt: Zum einen durch seine Mutter, die mollige Ex-Schönheitskönigin, die nachts durch Bars zieht und Männer mit nach Hause bringt, ihren Sohn aber sträflich vernachlässigt. Zum anderen das besorgte Hausmütterchen Marcella (Katelijne Damen), das genaue Gegenteil von Yvette, das Pim Zuflucht gewährt und ihm als Ersatzmutter dient. Und nicht zuletzt Ginos Schwester Sabrina, die vergeblich um die Aufmerksamkeit des verschlossenen Nachbarsjungen ringt. Während Pim ihre regelmäßigen Fragen nach einer kühlen Limonade stoisch ignoriert, wäscht er sich vor jedem Treffen mit Gino mit höchster Penibilität. Sexszenen zeigt Defurne nicht – anders als etwa in Ang Lees „Brokeback Mountain" beschränkt sich die homosexuelle Liebe hier auf Küsse und Streicheleinheiten.
Der flämische Regisseur und Drehbuchautor dokumentiert Pims Alltag zwar mit viel Liebe zum Detail und lässt den Zuschauer am emotionalen Chaos seines Protagonisten teilhaben, wirklich zu fesseln vermag er dabei aber selten. Der Erzählung fehlt ein zentraler Konflikt, ein klarer Fokus. So bringt etwa der Einzug des attraktiven Zirkusangestellten Zoltan (Thomas Coumans) Pims Gefühlwelt zusätzlich durcheinander, aber die Geschichte nicht wirklich voran. Ähnliches gilt für die Frage nach Ginos unbekanntem Vater. Die knifflige Dreieckskonstellation zwischen Pim, Gino und Sabrina wiederum wird von Defurne nicht konsequent auserzählt: Vor allem Sabrinas unerwiderte Liebe böte reichlich Konflikt- und Eifersuchtspotential, indes fehlt hier die Dynamik und so sind auch die Gefühle des Mädchens bereits nach der ersten Abfuhr durch Pim nur isolierte Momentaufnahmen.
Fazit: Bavo Defurnes sensibles Langfilmdebüt „Nordzee Texas" ist ein ansprechend gestaltetes Coming-of-Age-Drama mit viel Leerlauf und wenig Spannung, dessen erzählerisches Potential bei weitem nicht ausgenutzt wird.