Ein verdammt spaßiges Denkmal für Hollywoods unbesungene Helden
Von Markus TruttDer erste verbürgt bezahlte Stunt in einem Film ist im 14-minütigen „Der Graf von Monte Cristo“ aus dem Jahr 1908 zu sehen. Damals erhielt ein eigens angeheuerter Akrobat fünf Dollar dafür, dass er von einer Klippe ins Meer sprang. Und trotzdem lässt auch mehr als 100 Jahre später die allgemeine Anerkennung für das (manchmal leider im wahrsten Sinne des Wortes) halsbrecherische Gewerbe noch immer zu wünschen übrig.
Als die „unbesungenen Helden des Kinos“ hat Jason Statham Stuntleute einmal treffend und durchaus anklagend bezeichnet. Allerdings hatte der Action-Star zu jenem Zeitpunkt auch noch nicht „The Fall Guy“ von seinem „Hobbs & Shaw“-Regisseur David Leitch gesehen. Der neueste Film des Ex-Stuntmans ist das bis dato vielleicht eindringlichste Plädoyer dafür, der Stuntkunst endlich ihre eigene Oscar-Kategorie zuzugestehen – und obendrein ein saumäßig unterhaltsames Action-Spektakel!
Stuntman Colt Seavers (Ryan Gosling) zählt in Hollywood nicht nur zu den besten seines Fachs, ihm ist auch keine Actioneinlage zu waghalsig. Aber als er einmal mehr den Filmstar Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson) doubelt, kommt es zum Unglück: Colt bricht sich beim Dreh einer Szene den Rücken. In den folgenden Monaten rappelt er sich körperlich zwar wieder auf, an eine Rückkehr in seinen einst so heißgeliebten Job ist aber trotzdem nicht zu denken …
… zumindest bis ihn die ehrgeizige Produzentin Gail Meyer (Hannah Waddingham) eines Tages dazu überredet, beim Blockbuster-Regiedebüt von Colts großer Liebe Jody Moreno (Emily Blunt) mitzumachen. Die ist davon allerdings wenig begeistert, schließlich hat Colt nach seinem Unfall jeglichen Kontakt zu ihr abgebrochen. In Wahrheit aber hat Gail ohnehin einen ganz anderen Auftrag für den Stuntman: Ihr Hauptdarsteller Tom Ryder wird vermisst – und ausgerechnet Colt soll ihn aufspüren, um Jodys Produktion zu retten. Oder wie es im Film selbst so schön heißt: „Du bist der Stuntman, keiner wird mitkriegen, ob du da bist oder nicht.“
Solche Zitate finden sich in „The Fall Guy“ zuhauf. Und so augenzwinkernd witzig sie auch sind, schwingt doch immer eine gewisse Bitterkeit mit. Die kommt nicht von ungefähr, war Regisseur David Leitch zu Beginn seiner Hollywood-Karriere doch selbst als Stuntperformer und Stuntkoordinator einer dieser „unbesungenen Kinohelden“. So schließt sich für den 48-Jährigen nun im Grunde ein Kreis. An der Seite seines Freundes Chad Stahelski hat er mit dem ersten „John Wick“ den Sprung auf den Regiestuhl gewagt. Mit seinen weiteren Hits „Atomic Blonde“, „Deadpool 2“, „Fast & Furious: Hobbs & Shaw“ und zuletzt „Bullet Train“ hat er sich schließlich selbst den Weg geebnet, um mit dem erarbeiteten Blockbuster-Standing seiner Stunt-Passion endgültig die große Bühne zu bieten, die sie verdient.
Nicht nur ist die Hauptfigur in „The Fall Guy“ selbst Stuntman (lose angelehnt an den gleichnamigen Protagonisten aus der 80er-Jahre-Kultserie „Ein Colt für alle Fälle“ mit Lee Majors). Auch ist ein Großteil der aufwändig choreografierten und sehr vielseitig inszenierten Action-Sequenzen betont handgemacht: von der beeindruckenden One-Shot-Figureneinführung inklusive abschließendem Freefall-Stunt, über einen spektakulären (leider aber etwas zerschnittenen) Autoüberschlag-Weltrekord, bis hin zum herrlich absurden Kampf in einer zu den Klängen von Phil Collins‘ „Against All Odds“ fast schon anmutig über die Straße tanzenden LKW-Ladefläche.
Und wenn am Ende dann die Macht des Stunthandwerks und die Magie der praktischen Effekte tatsächlich den Tag retten, erreicht die Liebeserklärung an ebenjene Filmkünste ihren konsequenten Höhepunkt (der durch eine ganz besondere Zugabe im Abspann noch perfekt abgerundet wird). Kleiner unschöner Nebeneffekt: Wenn dann doch mal stärker mit CGI nachgeholfen wird (streckenweise etwa auch beim erwähnten LKW-Tanz), fällt das umso störender auf. Trotzdem halten sich derartige Einschübe aus dem Computer gerade für einen 125 Millionen teuren Blockbuster doch sehr in Grenzen.
Dass der „The Fall Guy“-Protagonist dabei nicht von einem echten Stuntman, sondern ausgerechnet von einem der aktuell beliebtesten Hollywood-Stars überhaupt gespielt wird, mag zunächst etwas paradox wirken. Trotzdem geht das Konzept auf: Schließlich kann es nicht schaden, einen Charmebolzen wie Ryan Gosling die Botschaft für mehr Stunt-Würdigung nach Hause bringen zu lassen. Nach seiner Oscar-Nominierung für den Mega-Hit „Barbie“ kann Gosling hier direkt noch einmal sein einnehmendes Comedy-Talent voll ausspielen, besonders in den lebhaften Kabbeleien mit Emily Blunt („A Quiet Place“).
Glänzten die beiden 2023 noch auf unterschiedlichen Seiten des „Barbenheimer“-Phänomens, offenbaren sie hier von den ersten Minuten an eine gefällige Chemie, die jede Szene mit ihnen zum Fest macht. Entscheidenden Anteil daran haben aber auch die vor Screwball-Charme strotzenden verbalen Sticheleien, die ihnen Drew Pearce in den Mund legt. Bisweilen nutzt der „Iron Man 3“-Drehbuchautor gar Stunteinlagen, um uns etwas über die Beziehung des Duos zu erzählen. So etwa, wenn sich Colt auf Geheiß von Jody immer wieder anzünden lassen muss, damit sich die beiden vor versammelter Mannschaft mal so richtig aussprechen können. Da verzeiht man auch gerne den vorhersehbaren Plot, der sich über weite Strecken wie die Light-Version einer Shane-Black-Krimi-Farce à la „Kiss Kiss Bang Bang“ oder „The Nice Guys“ anfühlt.
Fazit: „The Fall Guy“ setzt dem Stunthandwerk mit jeder Menge Herz ein ebenso spaßiges wie durch und durch charmantes Denkmal, bei dem die spektakulär-handgemachte Action und das bezaubernde Star-Duo spielend darüber hinwegtrösten, dass die dünne Krimi-Story eher Mittel zum Zweck bleibt. Wenn nach diesem filmischen Liebesbrief nicht bald der längst überfällige Stunt-Oscar eingeführt wird, wissen wir auch nicht mehr weiter.