Ist der neue Til-Schweiger-Film „Schutzengel" ein Afghanistan-Drama, das „verständlich macht, welche Folgen Krieg bei einem Menschen hinterlässt", wie Polit-Talkerin Maybrit Illner in ihrer Sendung sagte? Das suggerierte zumindest die Marketingkampagne: Schweiger reiste mit seinem Film im Gepäck zum Truppenbesuch an den Hindukusch und schlachtete diesen dann mit einem Kinotrailer und diversen TV-Auftritten, mit denen „Schutzengel" als gesellschaftspolitisch wichtiges Werk positioniert werden sollte, medial aus. Oder ist „Schutzengel" vielleicht ein Action-Film, endlich mal deutsches Genre-Kino für ein großes Publikum? Das wiederum versprachen die Synopsis und vor allem einige Szenenbilder. Aber da gibt es ja noch eine andere Möglichkeit: Ist „Schutzengel" etwa vielmehr eine weitere Variation von Schweigers erfolgreichen, sepia-getränkten Geschichten um einen Lebemann, der lernen muss, Verantwortung zu übernehmen – angesiedelt irgendwo zwischen „Keinohrhasen" und „Kokowääh"? Am Ende landet der Regisseur, Produzent, Hauptdarsteller und Co-Autor zwischen allen Stühlen und „Schutzengel" ist irgendwie alles ein bisschen, aber nichts davon so richtig - und nur in einzelnen Momenten gut gelungen. Die verschiedenen Elemente des deutlich zu lang geratenen Action-Dramas mit Humor- und Pathos-Einlage fügen sich nie zu einem homogenen Ganzen.
Die 14-jährige Herumtreiberin Nina (Luna Schweiger) muss mitansehen wie der skrupellose, internationale Waffenhändler Thomas Backer (Heiner Lauterbach) ihren Freund Toni (Jacob Matschenz) erschießt. Da Backer mächtige Freunde besitzt und sogar den Oberstaatsanwalt (Rainer Bock) in der Tasche hat, glaubt er die Sache so drehen zu können, dass es wie Notwehr ausschaut. Doch die junge Staatsanwältin Sara Müller (Karoline Schuch), die Backer schon lange ans Leder will, glaubt Ninas Aussage und will den Fall zur Anklage bringen. Für Backer ist klar: Die Zeugin muss weg. Doch er hat dabei nicht mit Max Fischer (Til Schweiger) gerechnet. Der Ex-Soldat, der mit seinen Kollegen Leo (Axel Stein) und Helena (Hannah Herzsprung) den Auftrag hat, Nina zu beschützen, kann mit der Zeugin entkommen, als Backers Häscher das eigentlich geheime Versteck stürmen. Da Max niemandem mehr vertrauen kann, verkriecht sich der Einzelgänger mit Nina bei seinem einzigem Freund, Kriegskamerad Rudi (Moritz Bleibtreu). Während der harte Max und die bockige Nina langsam lernen, einander zu vertrauen, sind ihnen alle ehrlichen und korrupten Polizisten Berlins wie auch Backers Söldner auf den Fersen. Und die stoßen bald auch auf Rudi...
Dass Til Schweiger Action-Szenen inszenieren kann, bewies er bereits 1998 mit dem sichtbar von Quentin Tarantino inspirierten „Der Eisbär". Auch die erste große Action-Einlage in „Schutzengel" ist große Klasse. Schweiger und Co-Star Hannah Herzsprung („Hell") kriechen durch die Flure der kleinen Zeugenschutzwohnung und liefern sich ein Feuergefecht mit gesichtslosen Widersachern, die den Unterschlupf stürmen wollen. In dieser Sequenz zeigt sich der deutsche Superstar nicht nur als hochprofessioneller Schauspieler, der ein Training absolviert und reale Vorbilder genau studiert hat, sondern vor allem als äußerst stilbewusster Regisseur. Er lässt das Geschehen komplett in Zeitlupe ablaufen und verzichtet ausnahmsweise auf die sonst dauerhaft-penetrant im Hintergrund dudelnde Pop-Musik. Stattdessen ist fast nur das Klacken vom Nachladen der Waffen zu hören und die Geräusche der Kugeln. Man könnte sich fast in einem Italo-Western mit modernen Waffen wähnen, so (über)stilisiert ist die Szene. Da verwundert es nicht, dass Schweiger seinen Film Tony Scott, der kürzlich verstorbenen Stil-Ikone des Action-Kinos, gewidmet hat. Und dass direkt vor diesem Shoot-Out Ben Afflecks „The Town - Stadt ohne Gnade" im TV läuft, ist sicher auch kein Zufall. Das Niveau des Schauspieler-Regisseur-Kollegen erreicht Schweiger aber nicht, denn die über den Film versprengten Actionszenen sind nur selten so stark wie dieser Auftakt.
Im weiteren Verlauf des Films gibt es immerhin noch zwei weitere Höhepunkte, die erahnen lassen, was Schweiger bei einem reinrassigen Genrefilm leisten könnte. In einer wiederum an Westernvorbilder erinnernden Konfrontation stehen sich in einem Café die unbewaffnete Nina sowie Max und eine Polizistin (Katharina Schüttler, „Es kommt der Tag"), die beide den Finger am Abzug haben, gegenüber - eine tragische Eskalation droht. Die Situation dauert unendlich, eigentlich sogar unerträglich lang. Aber genau dadurch wird sie auch fast unerträglich spannend. Der zweite große Genre-Moment ist der finale Showdown auf einem Bauernhof in der Uckermark, was hier allerdings weniger der ordentlichen Action-Inszenierung geschuldet ist: Eine Schar maskierter Gegner durchsiebt mit allerlei schwerem Geschütz ein Holzhaus, in dem Max immer wieder auf wundersame Weise den Kugeln ausweicht und mit immer neuem Waffen- und Munitionsnachschub zurückfeuert. Aber auch die Reserven der Angreifer scheinen geradezu unerschöpflich und so löst Schweiger das Szenario auf eine Weise auf, die vielen Zuschauern die Zornesröte ins Gesicht treiben wird, die aber auch ungemein Chuzpe beweist. Der Schluss lässt verschiedene Lesarten zu, auch hier können Gemeinsamkeiten mit Italo-Western oder Genre-Kino wie Nicolas Winding Refns „Drive" ausgemacht werden.
Wer diese Kritik von „Schutzengel" bis hierher gelesen hat, wird sich vielleicht über die Wertung wundern. Die bislang beschriebenen Highlights, zu denen noch ein gut platzierter selbstironischer Gag über Schweigers Alter kommt (der „Tatort"-Kommissar in spe wird 2013 schon 50), sind nur einzelne Momente in einem mit 132 Minuten Laufzeit viel zu langen Film. Auch wenn einige der ruhigen Szenen zwischen Til Schweiger und seiner durchaus überzeugenden Tochter Luna ordentlich funktionieren, gibt es viel Leerlauf. Der Afghanistan-Hintergrund der Figuren von Schweiger und Bleibtreu ist austauschbar, die diesbezüglichen Dialoge sind überwiegend banal, da mögen noch so viele Gespräche mit Soldaten eingeflossen sein. Über weite Strecken ist „Schutzengel" unglaublich zäh erzählt und es gibt eine ganze Reihe von Szenen, die offenbar nur vorhanden sind, um einen weiteren Gastauftritt eines namhaften Schauspielers unterzubringen und einen blöden Witz auf Kosten von dessen Figur zu machen. Diese meist billigen Seitenhiebe waren schon in „Zweiohrküken" und „Kokowääh" eine Unart. Überhaupt gibt es immer wieder Momente, die man schon genau so in einem anderen Schweiger-Film gesehen zu haben glaubt.
Die Überlänge ist nur ein Symptom, das Zuviel erweist sich in Inszenierung, Dramaturgie und Darstellung immer wieder als Problem. Oft lädt Schweiger Szenen auf geradezu aufdringliche Weise emotional auf, um eine größere Wirkung zu erzielen, erreicht mit dieser Penetranz aber genau das Gegenteil. Da telefoniert etwa der von Axel Stein („Harte Jungs") verkörperte Personenschützer Leo eine gefühlte Ewigkeit mit seiner Frau (Jytte-Merle Böhrnsen, „Dating Lanzelot"), die um die Ergebnisse ihres Frauenarztbesuchs solange herumdruckst bis sie ihm die freudige Schwangerschaftsnachricht endlich mitteilt - wenige Sekunden bevor er eine Kugel in den Kopf bekommt. Dass es inhaltlich überhaupt keinen Sinn ergibt, dass die Gangster Leo, der ohnehin Feierabend hat und auf dem Weg nach Hause ist, hinterrücks auf offener Straße umlegen und so das Überraschungsmoment ihres anschließenden Angriffs auf die Zeugenwohnung gefährden, ist da nur das Tüpfelchen auf dem i dieser misslungenen Passage.
Geradezu ärgerlich sind die Zampano-Auftritte von Heiner Lauterbach („Rossini") und Herbert Knaup („Agnes und seine Brüder"). Ersterer spielt den skrupellosen Waffenhändler Backer als so überzogene Karikatur, dass die Figur nicht nur überhaupt nicht ernst zu nehmen ist, sondern auch jeglicher womöglich beabsichtigter Realitätsbezug verloren geht. Wenn Backer sich mit einer „Aasgeier-Journalisten-Meute" um Ex-DSDS-Jurorin Nina Eichinger im überflüssigsten Gastauftritt des Films Scharmützel liefert, werden wichtigtuerische Phrasen gedroschen wie „I owe this country!". Anschließend darf der Waffenhändler sich mit ARD-Talker Frank Plasberg kindische Scharmützel im Stil von „Du lügst. Nein, Du lügst. Nee, Du lügst." liefern. Nicht besser ist Hebert Knaup, der einen Polizeipräsidenten spielt, der nicht nur dauernd am Flachmann nippt, sondern scheinbar so wenig zu tun hat, dass er immer überall rumrennt, wo es gerade brennt. Statt dort behilflich zu sein, fällt ihm dann aber nichts Besseres ein, als mitten im Kugelhagel in einem Krankenhaus das Personal zu beleidigen, das eigentlich nur die Patienten in Sicherheit bringen will.
Fazit: Mit seinem überlangen Actiondrama „Schutzengel" stellt Til Schweiger die Fans seiner gefühlvollen Komödien durchaus auf die Probe, aber ohne auf Versatzstücke aus seinen großen Erfolgen zu verzichten. Herausgekommen ist eine unausgegorene Mischung mit viel Leerlauf und nur einigen wenigen wagemutigen, gekonnt inszenierten Passagen.