Kochen ist eine Kunst und Kunst kommt von Können. Doch sowohl in der Kunst als auch in der Küche ist es ein Unterschied, ob der Koch/Künstler nur dafür arbeitet, seine Kunden zu sättigen/zu unterhalten, oder ob er nach mehr strebt und ein Erlebnis kreiert, das die Zeit überdauert. Erinnert die auf schnelle Befriedigung abzielende effektive Abfertigung bei McDonald‘s vielleicht eher an Filme von Michael Bay, dann ähneln die Gaumenfreuden einer edlen 3-Sterne-Küche mehr einem cineastischen Geniestreich von Godard oder Antonioni. Einer der größten Meister hinter dem Herd eines Gourmet-Restaurants ist der französische Koch Michel Bras, gegen dessen kulinarische Finessen die deutschen Fernsehköche wie Kantinen-Panscher wirken. Nun stehen Bras und sein Sohn Sébastien im Mittelpunkt der Dokumentation „Entre les Bras – 3 Sterne. 2 Generationen. 1 Küche" von Paul Lacoste. Der Regisseur wirft einen Blick in den Arbeitsalltag der Köche, dazu skizziert er ihren Werdegang und ihre (Koch-)Philosophie. Was dabei herauskommt, ist spannender und von höherem ästhetischen Gehalt als viele Künstlerdokus.
In der Küche ist Michel Bras ein Virtuose und zu Recht wurde er zu einem der berühmtesten Chefköche der Welt. Was ihn auszeichnet wird schon in den ersten Minuten von Lacostes Film deutlich: Kunstvoll wie Jackson Pollock drapiert Brav das Gemüse, hier ein Artischockenherz, dort ein Broccoliröschen, oben drauf ein Rosenblatt und schließlich die gezielt verteilten Soßen. Am Ende sieht das fertige Gericht aus wie eine Installation und ist zum Essen eigentlich zu schade. In den folgenden 90 Minuten wird der Zuschauer Bras noch einige Male bei der Kreation seiner kulinarischen Kunstwerke über die Schulter sehen können, dabei sein, wenn Soßen zubereitet werden, Zwiebeln ausgehöhlt und neu gefüllt oder aus Milchhaut und getrocknetem Schinken ein neuer Teig gezaubert wird. Auch wenn dem Zuschauer dabei so manches Mal das Wasser im Mund zusammenläuft, ist „Entre les Bras" doch weit mehr als nur ein Appetitanreger und ein Werbefilm für das Restaurant „Maison Bras". Regisseur Paul Lacoste will nicht nur zeigen, wie schön der Maestro kochen kann, sondern ihm und seiner Philosophie nahekommen: in der Küche, aber auch im Leben.
Wie viele Künstler lässt auch Bras am liebsten seine Kreationen für sich selbst sprechen. Vor der Kamera bleibt er verschlossen, gibt zwar auf jede Frage eine einfache und klare Antwort, lässt sich aber nur bis zu einem bestimmten Punkt in die Karten blicken. Mit bestechender Sachlichkeit und ohne alle Mätzchen nimmt er stets die ruhige und kontrollierte Position eines Beobachters ein. Nur einmal, bei einem Fest mit Freunden, sieht man ihn ausgelassen herumtoben, während er sonst mit der Seriosität eines Buchmachers schaltet und waltet. Manches Mal fühlt man sich dabei an das Künstlerporträt „Gerhard Richter - Painting" erinnert: Der berühmte Maler geht dort mit ähnlicher Konzentration und Ruhe ans Werk wie hier der Koch. Michel Bras abgeklärte Souveränität spiegelt sich auch in den kalten Interieurs seines im Nirgendwo gelegenen Restaurant wider. Geprägt von klaren Formen und glatt polierten Oberflächen ähnelt es eher einer Galerie für moderne Kunst als einem Gourmet-Tempel.
Doch hinter diesen Oberflächen und dem manchmal schöngeistig wirkenden Gehabe, entdeckt Regisseur Lacoste einen Menschen, der trotz ambitionierter Karriere- und Lebensplanung durch und durch in traditionellem Denken verhaftet ist. Bras, der als Koch in die Fußstapfen seiner Mutter getreten ist, arbeitete sich durch Fleiß und Ausdauer ganz nach oben. In einem Alter, in dem andere noch nach sich selbst suchen, war er schon Küchenchef. Seine Frau, die er jung geheiratet hat, übernahm den Service im eigenen Restaurant, sein erwachsener Sohn Sébastien wiederum tritt in seine Fußstapfen als Koch. Zunehmend rückt Sébastien dann auch ins Zentrum der Dokumentation und ist bald ganz der Vater: nicht nur äußerlich, sondern auch im Mut, eigene Kreationen zu entwerfen. Steht Papa Michel jedoch ganz in der Tradition bildender Künstler, ist Filius Sébastien eher ein Geschichtenerzähler, der auf den Gaumen seiner Gäste eine regelrechte Geschmacksdramaturgie entstehen lassen will. Wer hätte gedacht, dass Kochen – und Essen – eine solch intellektuelle Herausforderung sein kann. Die hat allerdings ihren Preis: Ein Abend im „Maison Bras" kostet manchen Feinschmecker schon eine ganze Monatsmiete.
Neben dem ausgekochten Vater-Sohn-Gespann ist das ländliche Umland von Laguiole im Süden Frankreichs heimlicher Hauptdarsteller. Hier sagen sich Fuchs und Hase gute Nacht, im gemächlichen Leben abseits der schlaflosen Großstädte fühlt sich die Familie Bras sichtbar wohl. Egal ob sie in den frühen Morgenstunden zu Großmärkten fahren, um erste Erledigungen zu machen, zwischen Kühen und Schafen joggen oder mit der inzwischen vier Generationen umfassenden Familie Ausflüge im Wald unternehmen: Angesichts dieser Bilder weiß man, wo die Küchengenies sich ihren Ausgleich holen. Wie zur Abwechslung vom Küchentrubel verharrt die Kamera von Yvan Quehec immer wieder auf Wiesen, Bächen und Weiden. Es sind Landschaften von schroffer Schönheit, die dem Seelenleben der Protagonisten zu entsprechen scheinen. Man bekommt durchaus eine Ahnung von den Gedankengängen der Familie Bras, aber Paul Lacoste forciert keinesfalls eine psychologische Lesart seiner Dokumentation. Wer mag, der schaut den Kochgenies einfach über die Schultern und genießt die vielfältigen Sinneseindrücke.
Fazit: Mit „Entre les Bras" ist Paul Lacoste eine ebenso stimmungsvolle wie unterhaltsame Dokumentation über Leben und Werk eines der großen europäischen Koch-Künstler gelungen. Man muss kein Fan oder Bewunderer der Gourmet-Küche sein, um dem Porträt von Vater und Sohn Bras mit Vergnügen und Faszination zuzusehen.