Im oberbayerischen Oberammergau inszenieren die Bewohner bereits seit 1634 mit gewaltigem theatralen Aufwand die christliche Passionsgeschichte nach. Das in der Regel alle zehn Jahre stattfindende Spektakel ist dabei mitnichten auf einen besonders ausgeprägten religiösen Fanatismus zurückzuführen, viel eher steckt heutzutage handfestes wirtschaftliches Kalkül dahinter und dazu ein wenig Traditionsverbundheit. Das ist jedenfalls die ernüchternde Einsicht, die Regisseur Jörg Adolph mit seiner Dokumentation „Die große Passion" nahelegt. Düster ist sein fast zweieinhalbstündiger Film über das Großereignis allerdings nicht wirklich ausgefallen, denn der Fokus liegt auf dem skurrilen Humor, mit dem die Oberammergauer die Veranstaltung angehen. Gerade dieser Witz ist es auch, der die zu lang geratene und etwas fade umgesetzte Dokumentation über weite Strecken trägt.
Oberammergau 2009: Die Planungs- und Konzeptionsphase der 41. Passionsspiele des 5.000-Seelen-Orts beginnt - eine Periode hektischer Betriebsamkeit in der Gemeinde. Rollen müssen besetzt, Budgets diskutiert und Texte für die Aufführung geschrieben werden. Regisseur Christian Stückl und sein Dramaturg Otto Huber stehen im Mittelpunkt des bunten Treibens. Während die beiden fast rund um die Uhr im Einsatz sind und teils völlig übermüdet versuchen, alles im Überblick zu behalten, begegnen die Dorfbewohner dem Wirbel um die Passionspiele mit einer gesunden Portion schwarzen Humor.
Die Hauptattraktion von Jörg Adolphs Dokumentation ist ohne Zweifel der Spielleiter in Oberammergau, Christian Stückl. Er ist als erste Anlaufstelle in allen organisatorischen und künstlerischen Angelegenheiten nicht nur der Dreh- und Angelpunkt des Geschehens, sondern zum Vergnügen des Zuschauers auch ein geborener Entertainer. Kettenrauchend und rastlos stellt er eine unwahrscheinliche Mischung aus verkopftem Akademiker und hemdsärmligem Macher-Typ dar, der dem Traditionsstück jede zeremonielle Schwere nimmt und auch den Film „Die große Passion" eindeutig belebt. Auch einige der traditionsgemäß aus der Dorfbevölkerung rekrutierten Schauspieler des Passionsspiels haben einiges an Charisma und versprühen urbayerischen Charme, allen voran der Christus-Darsteller Frederik Mayet.
Regisseur Jörg Adolph folgt dem Geschehen grob chronologisch von den ersten Planungen über die Proben bis zu den Aufführungen, er verzichtet auf formale Experimente und beschränkt sich weitgehend auf eine reine Beobachterrolle. Das Geschehen spricht für sich selbst, so kommt die Leidenschaft Stückls und Hubers genauso ungefiltert zum Ausdruck wie einige Absurditäten und der morbide Humor, die diesem Ereignis auch innewohnen, etwa bei der „Anprobe" des Kreuzes für die drei Jesus-Darsteller, die jeweils verschiedene Größen benötigen. Hier macht sich Adolphs Zurückhaltung durchaus bezahlt, aber alles in allem fehlt zuweilen doch eine klare Perspektive.
Am deutlichsten spürbar ist ein eigener Zugriff des Filmemachers, wenn er durch die Montage einige harsche und vielsagende Kontraste erzielt: So lässt er etwa direkt auf intellektuelle Grundsatzgespräche zur künstlerischen Ausrichtung des Passionsspiels Aufnahmen von den öffentlichen Diskussionsrunden über die zu erwartenden Millionen-Einnahmen folgen. In solchen Gegenüberstellungen schwingt nicht nur leise Kritik an den Begleitumständen des Spektakels mit, sondern es kommt auch eine Dynamik in die Filmerzählung, die dem überlangen Werk sonst über weite Strecken fehlt. Insgesamt bleibt „Die große Passion" so ein zwar in vielen Einzelheiten aufschlussreiches, aber gestalterisch überaus konventionelles Dokument.
Fazit: „Die große Passion" ist eine zu lang geratene und formal biedere Dokumentation über die berühmten Passionsspiele von Oberammergau, in der gleichwohl in vielen Details eindrucksvoll die Einmaligkeit dieses Ereignisses zwischen Kunstanspruch, Wirtschaftsinteressen und jahrhundertealten Traditionen vermittelt wird.