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    Die Möbius-Affäre
    Kritik der FILMSTARTS-Redaktion
    3,5
    gut
    Die Möbius-Affäre
    Von Andreas Staben

    1994 wurde Eric Rochants Agententhriller „Les Patriotes“ bei seiner Premiere während der Filmfestspiele in Cannes minutenlang umjubelt. Für wenige Momente sah es so aus, als würde der für damalige Verhältnisse enorm teure und aufwändige Film tatsächlich zum Hit werden können. Doch das Blatt wendete sich schnell: Die Kritiken waren bestenfalls durchwachsen, bei der Preisverleihung ging das dreisprachige Zweieinhalbstundenwerk leer aus (es triumphierte „Pulp Fiction“) und als „Les Patriotes“ dann regulär in die französischen Kinos kam, entpuppte er sich als Kassenflop – in Deutschland wurde der Film (unter dem irreführenden Titel „Staatsauftrag: Mord“) bis heute nur  im Fernsehen gezeigt. Die Karriere von Regisseur Rochant, der nach seinem Debüt mit „Eine Welt ohne Mitleid“ Anfang der 90er Jahre noch als eine der großen Hoffnungen des französischen Kinos galt, hat sich vom Scheitern der „Patrioten“ über Jahre nicht so recht erholt – doch nun feiert der Filmemacher ein durchaus beachtliches Comeback: Mit seinem elegant inszenierten Liebes- und Spionagethriller „Die Möbius-Affäre“ bietet er uns unterhaltsames Starkino auf Hitchcocks Spuren.

    Die Bankerin Alice Redmond (Cécile de France) darf wegen ihrer Verwicklung in die Finanzkrise nicht mehr in den USA arbeiten. Der amerikanische Geheimdienst hat ihr einen Deal angeboten und sie nach Monaco geschickt, wo sie Informationen über den reichen russischen Geschäftsmann Ivan Rostovsky (Tim Roth) beschaffen soll. Auch die Finanzbehörden vor Ort sind an Rostovsky interessiert und eine gewisse Sandra (Emilie Dequenne) wirbt Alice für sie an. Hinter den angeblichen monegassischen Beamten verbirgt sich allerdings ein Team des russischen Geheimdiensts SFB unter Führung des Agenten Grégory Lioubov alias Moïse (Jean Dujardin). Alice gerät in einen Strudel aus Täuschungen und Intrigen, wobei ihr besonders Rostovskys misstrauischer Sicherheitschef und Leibwächter Khorzov (Aleksey Gorbunov) Schwierigkeiten macht. Der Oligarch selbst ist unterdessen sehr von der jungen Frau angetan – genau wie Moïse, der sie in einem Club erstmals persönlich trifft. Der Spion hält seine Identität vor Alice geheim und die beiden beginnen eine leidenschaftliche Liebesaffäre. Bald bringt die verbotene Romanze nicht nur Alice in ernste Gefahr…

    Bei „Die Möbius-Affäre“ (im Original einfach „Möbius“) ist der Titel Programm. Das Möbius-Band, bei dem sich zwischen innen und außen, oben und unten, Anfang und Ende nicht unterscheiden lässt, ist ein ganz gutes Bild für die vertrackte Spionagehandlung mit ihren unklaren Loyalitäten und undurchsichtigen Manövern, aber noch viel genauer beschreibt die raffinierte Struktur Rochants elegante erzählerische Verklammerung von Thriller und Liebesgeschichte. Wie in Hitchcocks „Berüchtigt“, den Rochant nicht zufällig als Inspiration für „Möbius“ bezeichnet, wird das Treiben der Agenten auf der politischen Weltbühne irgendwann zur gefährlichen Kulisse einer Romanze, die sich als wahres Zentrum des Films entpuppt. Wenn gleichsam in einem Nebensatz Alice persönlich für den Sturz von Lehman Bros. verantwortlich gemacht oder ein kühner Bogen zum iranischen Atomprogramm geschlagen wird, dann spielt Rochant mit diesen Bezügen wie früher Hitchcock mit der Nazi-Verschwörung: Hier geht es nicht wie noch in „Les patriotes“ um ein möglichst realistisches Porträt von Geheimdiensttätigkeit oder geopolitischen Zusammenhängen, sondern um eine Film-Fantasie über Lügen, Macht und Geheimnisse – und bei der wird auch die innere Logik manchmal arg strapaziert.

    In „Die Möbius-Affäre“ spielen der Franzose Jean Dujardin und der Brite Tim Roth Russen, während die Belgierin Cécile de France eine Amerikanerin verkörpert. Nicht jeder Akzent und jede Sprache wird hier korrekt getroffen, aber das Dialogwirrwarr aus Französisch, Englisch und Russisch ist dennoch ein starker Ausdruck der Doppelbödigkeit, die die Welt von „Möbius“ prägt (nach Möglichkeit also unbedingt eine untertitelte Fassung anschauen). Hier sind wir trotz allem näher bei John Le Carré als bei James Bond und so gibt es hier durchaus ein echtes Gespür für Gefahr. Eine brutale Auseinandersetzung in einem Fahrstuhl erinnert an berühmte Hitchcocksche Gewaltsequenzen in „Der zerrissene Vorhang“ oder „Frenzy“, aber Rochant kopiert den Großmeister keineswegs. Das zeigt sich am deutlichsten in den sinnlichen Liebesszenen, die zwar ähnlich durchdacht und virtuos angelegt sind wie der legendäre endlose Kuss von Cary Grant und Ingrid Bergman in „Berüchtigt“, dabei aber zugleich etwas ganz Eigenes an sich haben. Wenn sich die Protagonisten in Rochants Universum der Unsicherheit erstmals begegnen (in einem Club namens Destiny!), dann sagt die Choreographie der Blicke und die Inszenierung des Raumes mehr als die recht belanglosen Worte und wenn sie sich dann ihrer Leidenschaft hingeben, kommt der Regisseur mit der Kamera in ihren Gesichtern und auf den Poren ihrer Haut dem Geheimnisvollen von Liebe und Lust ganz nah.   

    In „Die Möbius-Affäre“ wird die Unmittelbarkeit starker Empfindungen mit dem Kontrollwahn der Machthungrigen kontrastiert. Zwischen diesen Polen werden die Liebenden aufgerieben und um das zum Ausdruck zu bringen, benötigen die beiden hervorragenden Hauptdarsteller keine ausgefeilte Figurenzeichnung. Oscar-Preisträger Jean Dujardin zeigt als Moïse, dass er mehr drauf hat als die komische (die „OSS 117“-Filme) und die wortlos-traurige („The Artist“) Variante des international beliebten Charmebolzens - er zeigt auch hier echte Star-Präsenz und Männlichkeit, aber ebenso eine Prise Melancholie und so etwas wie Härte wider Willen. Cécile de France („Hereafter“, „Der Junge mit dem Fahrrad“) wiederum ist fast so etwas wie eine Alice im Agentenwunderland – die Amateurin unter lauter Profis ist sich der Gefährlichkeit ihres doppelten Spiels scheinbar gar nicht bewusst und spielt mit Rostovsky (Tim Roth ist ganz der eiskalte Machtmensch) und seinen Männern (Aleksey Gorbunov zeigt die Emotionen, die seinem Chef fehlen) wie mit den Millionen bei ihren Bankgeschäften. Ganz bei sich ist sie nur, wenn sie jede Attitüde fallenlässt in der Intimität mit ihrem Liebhaber und auch Rochant ist nach über fünf Jahren Arbeit seit dem ersten Drehbuchentwurf am Ziel: An „Les Patriotes“, der in Frankreich heute ironischerweise als moderner Klassiker gilt, mag er nicht herankommen, aber ein sehenswerter (und ein schicker) Film ist „Die Möbius-Affäre“ allemal.

    Fazit: Charismatische Stars, sehenswerte Schauplätze und eine stilsichere Inszenierung mit dem gewissen Etwas: Eric Rochants Spionage-Thriller „Die Möbius-Affäre“ ist im Herzen eine Liebesgeschichte.

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