Die volle Dröhnung Tim Burton
Von Christoph PetersenWenn man sich Tim Burtons „Beetlejuice“ heutzutage anschaut, dann überrascht vor allem, wie wenig Michael Keaton als der titelgebende Poltergeist vorkommt. Ähnliches gilt für viele andere ikonische Elemente des Films: vom behördlich organisierten Wartesaal im Jenseits über den sandwurmverseuchten Wüstenplaneten bis hin zu Beetlejuices Schrumpfkopf-Schreibmaschinen-Sklave Bob. Egal ob diese Zurückhaltung nun dem Ende der Achtziger eben noch sehr viel höheren Aufwand für die Spezialeffekte geschuldet oder doch volle Absicht war: Auf jeden Fall ist „Beetlejuice“ ein Paradebeispiel für einen Film, der sein Publikum mit dem Wunsch nach mehr zurücklässt. Deshalb ist es auch kein Wunder, dass Fans der Kult-Komödie mehr als 30 Jahre lang beharrlich nach einer Fortsetzung geschrien haben.
Jetzt wurden sie endlich erhört, und diesmal schmeißt der „Batman“-Regisseur jede falsche Zurückhaltung über Bord. „Beetlejuice Beetlejuice“ liefert 104 Minuten lang mehr Beetlejuice, mehr Jenseits, mehr (überwiegend handgemachte!) Effekte. Dazu kommen zahlreiche Anspielungen auf das Original sowie Verneigungen vor persönlichen Idolen wie Mario Bava. Nach dieser proppenvollen Packung Tim Burton hält sich der Wunsch nach „Beetlejuice Beetlejuice Beetlejuice“ (ups…) zwar erst mal in Grenzen. Aber das heißt nicht, dass man vorher nicht einen wunderbar-unterhaltenden Grusel-Spaß geboten bekommt, in dem sich Tim Burton auf seine sehr spezielle Weise auch einen Marketing-Coup von „The Mandalorian“ zu eigen macht.
Nachdem sie als Goth-Teenie noch gerade so einer Zwangsehe mit dem Bio-Exorzisten Beetlejuice (Michael Keaton) entgangen ist, moderiert Lydia Deetz (Winona Ryder) inzwischen ihre eigene TV-Show „Ghost House“, in der sie mit ihren Talenten als Medium paranormalen Vorkommnissen auf die Spur geht. Allerdings ist sie noch immer so traumatisiert, dass sie ihre Arbeit nur mit der Hilfe von starken Pillen und ihrem sie offensichtlich ausnutzenden Produzenten Roxy (Justin Theroux) bewältigen kann. Ihre Tochter Astrid (Jenna Ortega) will unterdessen nichts mehr von Lydia wissen, weil die das ganze Geistergeschwafel ihrer Mutter für pure Einbildung und bloße Wichtigtuerei hält.
Als Lydias Vater Charles bei einem tragischen Unfall ums Leben kommt, bläst ihre nach Aufmerksamkeit gierende Mutter Delia (Catherine O'Hara) die Beerdigung direkt zu einer gewaltigen Performance-Art-Installation auf. Doch bei der Versammlung der ganzen Familie am Ort der damaligen Geschehnisse wird Lydia immer wieder von plötzlichen Beetlejuice-Visionen heimgesucht. Der hat aber gerade ganz andere Probleme: Seine Ex Dolores (Monica Bellucci), eine Seelensaugerin, die er vor einigen Jahrhunderten in der Hochzeitsnacht mit einer Axt zerlegt hat, ist hinter ihm her – und auch mit dem Jenseits-Cop Wolf Jackson (Willem Dafoe) ist nicht zu spaßen…
Keine Frage, die Gags in „Beetlejuice Beetlejuice“ sind teilweise wieder dunkelschwarz. So stand Tim Burton der 2003 wegen Kinderpornographie-Vorwürfen verurteilte Jeffrey Jones in der Fortsetzung nicht mehr für die Rolle des Vaters zur Verfügung. Und so stolpert Charles nach einer Hai-Attacke nun kopflos durchs Jenseits, wo in regelmäßigen Abständen Blut aus seiner durchtrennten Luftröhre spritzt. Aber ganz so weit wie im Original geht der Humor trotzdem nicht, das wäre heutzutage wohl auch einfach nicht mehr mit dem Zeitgeist vereinbar: Schließlich hat Beetlejuice im ersten Teil gleich in seiner ersten Szene Geena Davis begrabscht – und anschließend die damals noch minderjährige Winona Ryder samt allerlei anzüglicher Andeutungen ehelichen wollen. Aber so oder so macht der Mund-hygienisch fragwürdige Dämon auch diesmal wieder einen Riesenspaß.
Michael Keaton verriet kürzlich in einem Interview, wie egal es ihm sei, dass sein Auftritt als Batman in der 90-Millionen-Dollar-Produktion „Batgirl“ in der Mülltonne gelandet ist. Schließlich wurde er ja trotzdem fürstlich dafür entlohnt. Aber seine Rolle als Beetlejuice ist dem für „Birdman“ oscarnominierten Schauspieler ganz offensichtlich überhaupt nicht egal: Mit seinem ikonischen schwarz-weiß gestreiften Anzug und der wild zerzausten Frisur treibt er auch diesmal wieder jede Menge jenseitigen und grenzwertigen Schabernack. Dabei profitiert Keaton nicht nur massiv von den Kostümen der inzwischen vierfachen (!) Oscargewinnerin Colleen Atwood, sondern auch von den auch diesmal wieder überwiegend handgemachten Spezialeffekten: Erneut darf er seine Augen aus dem Kopf ploppen lassen und seine Gedärme über den ganzen Boden verteilen, ohne dass er dafür noch großartige CGI-Unterstützung benötigen würde. Das wurde alles am Set tatsächlich so gebaut.
Etwas anders sieht das bei seiner Ex aus. Monica Bellucci braucht durchaus ein wenig Hilfe aus dem Computer, wenn sich ihre seit Jahrhunderten in verschiedenen Kisten verwahrten Körperteile wieder zusammensetzen. Es ist ein im besten Sinne typischer Tim-Burton-Effekt, wenn sie einem Gegenüber die Seele aussaugt und dieser dann wie ein leerer Milchkarton in sich zusammenklappt. Aber eine echte Persönlichkeit erhält Delors nicht, stattdessen zelebriert der Film die zusammengetackerte Monica Bellucci als klassische Horror-Diva in der Tradition von „Frankensteins Braut“. Sowieso finden sich in „Beetlejuice Beetlejuice“ zahlreiche Anspielungen auf Burtons persönliche Kinovorlieben: So setzten Lydias Wehen mit Astrid ausgerechnet bei einem Mario-Bava-Marathon – genauer gesagt beim passend betitelten „Kill, Baby, Kill“ – ein. Und die Vorgeschichte von Beetlejuice und Delores wird im Stile eines schwarz-weißen Fünfzigerjahre-Horrorfilms inszeniert: natürlich auf Italienisch mit Untertiteln.
Während das Jenseits vor allem mit einer ganzen Parade an kreativ gestorbenen Geistern begeistert, punktet das Diesseits mit dem Aufeinandertreffen der Goth-Idole zweier verschiedener Generationen: „Heathers“-Ikone Winona Ryder trifft „Wednesday“-Shooting-Star Jenna Ortega. Stimmiger wurden Mutter-Tochter-Gespanne selten besetzt. Leider bleibt Lydia diesmal wegen ihrer Trauma-bedingten Tablettensucht lange Zeit ziemlich passiv, während dem offensichtlich nicht ganz koscheren Jeremy (Arthur Conti) ein paar Neunzigerjahre-Schallplatten und ein Dostojewski-Zitat ausreichen, um Astrid um den Finger zu wickeln. Aber während Astrid deshalb kaum zu einer ähnlich stilbildenden Kultfigur wie damals Lydia im Original werden wird, lässt der Film dafür Catherine O'Hara („Schitt’s Creek“) völlig von der Leine: Als unendlich selbstbezogene Karikatur einer Performance-Künstlerin stiehlt sie sogar Beetlejuice fast ein wenig die Show.
Fazit: „Beetlejuice, Beetlejuice“ bietet vor allem von allem mehr: Ein etwas ausfransender, aber zugleich gewaltiger Grusel-Spaß, der dem kreativ-anarchischen Geist des Originals weitestgehend treu bleibt.
PS: Wir haben ganz vergessen, die Anspielung auf „The Mandalorian“ im zweiten Absatz dieser Kritik aufzulösen. Dazu nur zwei Worte: Baby Beetlejuice!
Wir haben „Beetlejuice Beetlejuice“ beim Filmfest in Venedig gesehen, wo er als Eröffnungsfilm seine Weltpremiere gefeiert hat.